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Stammzellen bei ALS: Warnung vor zu großer Hoffnung

Samstag, 13. August 2016 – Autor:
Viele Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) hoffen, dass ihnen eine Stammzelltherapie helfen kann. Doch der große Durchbruch lässt noch auf sich warten. Mediziner warnen daher vor zu großen Erwartungen.
Stammzelltherapie bei ALS

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist bisher nicht heilbar

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist bisher nicht heilbar. Doch immer wieder machen Meldungen um scheinbare Erfolge mit einer Stammzelltherapie die Runde – für Betroffene oft die letzte Hoffnung. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Hinweisen, dass eine Stammzelltherapie theoretisch zur Verbesserung von ALS beitragen könnte, doch die konkreten klinischen Erfolge sind bisher bescheiden; zudem birgt eine Behandlung hohe Risiken. Allerdings laufen die Forschungen auf Hochtouren, und einige Studien zeigen vielversprechende Ansätze.

Erst kürzlich wurde eine Studie von Forschern der Hadassah-Universität in Jerusalem und der Universität in Tel Aviv veröffentlicht, bei der Patienten, die an ALS litten, mit induzierten mesenchymalen Stammzellen behandelt wurden. Diese Stammzellen sollten im Gehirn neurotrophe Wachstumsfaktoren (NTFs) produzieren. Das Problem der NTFs: Normalerweise können sie die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Die Stammzellen dienen hier daher als Vehikel, um die Wachstumsfaktoren über die Blut-Hirn-Schranke zu transportieren.

Studie zeigt vorübergehende Stabilisierung der ALS

Die aus dem Fettgewebe der Patienten gewonnenen mesenchymalen Stammzellen wurden nun bei sechs Patienten mit einem frühen Stadium der ALS intramuskulär und bei sechs Patienten im fortgeschrittenen Stadium in den Liquorraum injiziert. In der darauffolgenden 2a-Phase erhielten 14 Patienten mit ALS im Frühstadium sowohl eine intramuskuläre als auch eine intrathekale Transplantation mesenchymaler Stammzellen.

Die Stammzelltherapie war nach Angaben der Autoren gut verträglich und sicher. In der nachfolgenden Beobachtung zeigten sich beim monatlichen Fortschreiten der Erkrankung in der Liquor-Gruppe Verbesserungen; in der Gruppe, welche die Injektionen in den Muskel erhielt, gab es dagegen keine Verbesserungen. In der Phase-2a-Studie mit kombinierter Stammzellübertragung in Liquor und Muskel beobachteten die Forscher wiederum deutlichere Effekte. In einer Untergruppe der Patienten zeigte sich sogar über einen Zeitraum von mehreren Wochen eine Stabilisierung der ALS-Funktionswerte.

Möglicherweise Erfolge bei früher ALS

Experten bezweifeln dennoch, dass es sich hier um einen Durchbruch der Forschung handelt. Die Patientenanzahl sei zu gering und das Fehlen einer Kontrollgruppe mache die Ergebnisse ungenau, so die Kritik. Zudem wird betont, dass immer wieder ähnliche Ergebnisse von Studien veröffentlicht wurden, die sich dann in größeren Untersuchungsserien nicht bestätigen ließen. Zurzeit wird die beschriebene Methode daher an verschiedenen ALS-Zentren weiter überprüft.

Eine andere Studie aus den USA sorgte kürzlich ebenfalls für einiges Aufsehen. Für die von der Firma Neuralstem geleitete Studie, die von unabhängigen Wissenschaftlern begleitet wird, wurde ein spezielles patentiertes neurochirurgisches Verfahren entwickelt. Offenbar konnten sechs der 15 an ALS erkrankten Teilnehmer bisher von der Behandlung profitieren. Die meisten von ihnen zeigten eine Stabilisierung des Verlaufs, einige wiesen sogar leichte Verbesserungen auf. Für Interesse sorgte vor allem ein einzelner Teilnehmer der Studie, dem es nach der Behandlung deutlich besser ging. Insgesamt konnten die Verbesserungen hauptsächlich bei den Patienten gezeigt werden, die sich in einer relativ frühen Phase der Erkrankung befanden und die nicht an der bulbären Form der ALS litten.

Gefahren der Stammzelltherapie nicht unterschätzen

Eine Stammzelltransplantation ist grundsätzlich mit Risiken verbunden. Experten wie Professor Thomas Meyer, Leiter der ALS-Ambulanz an der Charité Berlin, geben zudem zu bedenken, dass bei einigen ALS-Patienten eine familiäre Form ALS vorliege. Die Gefahr: Eines der bisher identifizierten ALS-Gene führt zu einem körpereigenen Toxin, das eine Schädigung der motorischen Nervenzellen zur Folge hat. Es sei nicht auszuschließen, dass eine Vervielfältigung dieses Gens in körpereigenen Stammzellen zu negativen Effekten bei einer Transplantation führt, so Meyer. Dieses Risiko müsse bei der Anwendung bedacht werden.

Auch wenn sich Patienten für eine Stammzelltherapie entscheiden, sollten sie diese ausschließlich an einem zertifizierten Zentrum durchführen lassen. Immer wieder tauchen private Kliniken oder Praxen auf, die eine Stammzelltherapie gegen ALS kommerziell anbieten. Mediziner warnen vor den hohen Risiken solcher ungeprüfter Therapien. Zudem sei bisher kein einziger Fall bekannt, bei dem eine solche Behandlung nachhaltigen Erfolg gebracht hätte, so die Kritiker.

Foto: © D. Ott - Fotolia.com

Hauptkategorie: Medizin
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