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"Zu wenig Menschen kennen die Gefahr von Pneumokokken"

Montag, 30. September 2013 – Autor: Anne Volkmann
Der Pneumologe und Infektiologe Dr. Andrés de Roux über die Bedeutung der Pneumokokken-Schutzimpfung, Impfgegner und die aktuellen Impfempfehlungen der STIKO.
Der Pneumologe Dr. Andrés de Roux

Dr. Andrés de Roux

Dr. de Roux, führen Sie in Ihrer Praxis häufig Impfungen gegen Pneumokokken durch?

De Roux: Ja. Ich bin auch ein vehementer Verfechter dieser Schutzimpfung, weil eine Infektion mit Pneumokokken häufig schwer verläuft und zu Lungenentzündung, Blutvergiftung und sogar zum Tod führen kann. Leider ist die Bedeutung einer Pneumokokken-Schutzimpfung zu wenigen Menschen bekannt, da viele über die Gefahren einer Infektion nicht informiert sind.

Viele Menschen wissen gar nicht, was Pneumokokken sind und welche Krankheiten sie auslösen können. Woran liegt das?

De Roux: Über Pneumokokken wird nur selten gesprochen – häufiger über Lungenentzündung. Viele Menschen glauben daher auch, dass es eine „Impfung gegen Lungenentzündung“ gibt, was ja so nicht stimmt. Auch andere Erreger können zu einer Lungenentzündung führen; zudem können Pneumokokken nicht nur Lungenentzündung, sondern auch Meningitis, Mittelohrentzündung oder andere Erkrankungen auslösen.

Begegnen Sie in Ihrer Praxis auch Impfgegnern?

De Roux: Ja, das kommt sogar sehr häufig vor. Es gibt einen nennenswerten Anteil der Patienten, die Impfungen generell ablehnen – obwohl Studien belegen, dass Impfungen sicher sind. Natürlich kann es durch eine Impfung zu vorübergehenden Nebenwirkungen wie lokalen Hautreaktionen oder Abgeschlagenheit kommen. Ich habe in meiner Praxis aber noch nie schwere Nebenwirkungen durch Impfungen erlebt. Leider sind auch viele Menschen der Meinung, dass Impfungen bestimmte Krankheiten erst recht auslösen können. Es handelt sich dabei aber nur um zufällig gleichzeitig auftretende Ereignisse. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass sich ein Patient gegen Grippe impfen lässt und sich zur selben Zeit mit einem Erkältungsvirus ansteckt. Dann glauben viele Menschen, es gebe da einen Zusammenhang.

Bei der Impfung gegen Pneumokokken scheint im Moment die Lage recht kompliziert zu sein. Was ist das Problem?

De Roux: Bei der Pneumokokken-Schutzimpfung besteht die Besonderheit, dass wir momentan zwei zugelassene Impfstoffe haben. Schon seit vielen Jahren gibt es einen Polysaccharid-Impfstoff, der aber nur bei Erwachsenen einen gewissen Impfschutz bietet, nicht bei Kindern. Da aber Kinder besonders gefährdet sind, durch eine Pneumokokkeninfektion an einer Hirnhaut- oder Mittelohrentzündung zu erkranken, gab es intensive Bemühungen, einen Impfstoff zu entwickeln, der besser auf die immunologischen Gegebenheiten von Kindern reagiert. Seit 2005 haben wir nun einen sogenannten konjugierten Impfstoff, der auch bei Kindern eingesetzt werden kann – ein großer Erfolg. Mittlerweile ist der Impfstoff auch für Erwachsene zugelassen. So haben wir nun die Situation, dass zwei Impfstoffe miteinander konkurrieren. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt für Menschen über 60 Jahren noch den älteren Polysaccharid-Impfstoff. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) stellt den Ärzten jedoch frei, welchen Impfstoff sie verwenden.

Das klingt recht unübersichtlich.

De Roux: Ja, und das Problem ist, dass durch diese verworrene Situation die Wertschätzung der Pneumokokkenimpfung bei Erwachsenen stark abgenommen hat. Die Impfrate bei Menschen über 60 Jahren und chronisch Kranken ist sehr unbefriedigend, und das hängt sicherlich auch mit dieser Diskussion um den richtigen Impfstoff zusammen. Ich hoffe sehr, dass sich die STIKO hierzu bald eindeutig äußert, damit die Ärzte eine Verordnungssicherheit haben. Ich vermute, dass wir irgendwann nur noch den konjugierten Impfstoff verwenden werden.

Was ist denn das Besondere an dem neuen Impfstoff?

De Roux: Der grundlegende Unterschied ist, dass bei der Anwendung des neuen Impfstoffs ein sogenanntes immunologisches Gedächtnis entsteht. Durch die Konjugation, ein Verfahren, bei dem das Antigen an ein anderes Eiweiß gebunden wird, können sich die körpereigenen Immunzellen an den Stoff erinnern und immer wieder Antikörper dagegen produzieren. Bei dem älteren Impfstoff werden zwar auch Antikörper produziert, aber ihre Zahl nimmt im Laufe der Zeit ab. Zudem werden durch den neuen Impfstoff nicht nur Antikörper im Blut, sondern auch an den Schleimhäuten produziert – was ja gerade bei Atemwegserkrankungen wichtig ist.

Wo sehen Sie noch die größten Probleme bei der Pneumokokken-Schutzimpfung?

De Roux: Die Herausforderung bei den Pneumokokken besteht darin, dass es an die 80 verschiedene krankheitsverursachende Serotypen gibt. Das Ziel ist es daher, einen Impfstoff zu entwickeln, der gegen möglichst viele Serotypen schützt. Der alte Polysaccharid-Impfstoff richtete sich gegen 23 Serotypen – allerdings war hier der Schutz nicht so stark. Der neue Impfstoff schützt zwar nur gegen 13 verschiedene Serotypen, aber die Schutzwirkung ist stärker, und die 13 Typen sind genau die, die für die überwiegenden Infektionen verantwortlich sind. Wünschenswert wäre es aber, einen Bakterienbestandteil zu finden, der in allen Pneumokokkenstämmen vorhanden ist. Das wird in nächster Zeit eines der Hauptziele der Forschung sein.

Dr. med. Andrés de Roux ist Lungenfacharzt an der Pneumologischen Praxis am Schloss Charlottenburg.

Interview: Anne Volkmann

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