
Die Stimme ist ein sensibler Biomarker - und reagiert auch auf Stress im Arbeitsumfeld. – Foto: Pixybay.com
Stress kennt jeder. Aber: Diesen Gefühlszustand objektiv zu messen, ist offenbar gar nicht so einfach. Denn schon jeder Einzelne ist unterschiedlich belastbar. Was für den einen noch im Rahmen der normalen Arbeitsroutine liegt, erlebt der andere bereits als Stress. Und schon in scheinbar normalen Arbeitssituationen kann Stress entstehen – ohne dass man ihn tatsächlich wahrnimmt. Trotzdem ist dieser Stress da – und sorgt im schlimmsten Fall für psychische und körperliche Probleme. Das ist schlecht für die Betroffenen selbst, aber auch für die Arbeitgeber, denn sie bezahlen viel Geld für Mitarbeiter, die nicht die volle Leistung bringen können.
Piloten beim Flugzeugabsturz: Klarer Stress in der Stimme
Doch Stress tatsächlich objektiv zu messen, sagen zu können: „Diese Person hat Stress, die in der Nachbarabteilung jedoch nicht“ – das war bisher gar nicht so leicht. In bisherigen Forschungsprojekten hat man zum Beispiel versucht, Stress über einen Abstrich im Mund anhand des dann gemessenen Cortisol-Spiegels zu bestimmen (Cortisol ist ein Stresshormon). In Experimenten wurden die Hände von Probanden zeitweilig in eisgekühltes Wasser getaucht, um Stress über körperlichen Schmerz zu simulieren. Es gab auch Auswertungen der Stimmen von Piloten, kurz vor einem Flugzeugabsturz. Die Stressanzeichen in ihren Stimmen waren nicht zu überhören. Dem Alltagsstress aber kamen die bisherigen Untersuchungen aber offenbar nicht bei.
Wie Termine, Konflikte, Zeitdruck die Stimme verändern
Einem Forscherteam vom Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität des Saarlandes ist es jetzt nach eigenen Angaben gelungen, diese Wissenslücke zu füllen. Sie haben mit der Hilfe von 111 berufstätigen Probanden eindeutige Zusammenhänge zwischen tatsächlichem Alltagsstress auf der Arbeit und Veränderungen in der Stimme messen können: „Wir konnten anhand von Sprachnachrichten, die die Teilnehmer uns eine Woche lang jeden Abend nach ihrer Arbeit geschickt haben, leichte Stimmveränderungen nachweisen, wenn sie einen stressigen Tag hatten. Dabei haben wir auch nach Stressoren, also beispielsweise zu vielen Terminen, Konflikte, Zeitdruck, gefragt.“
Stress: Menschen sprechen lauter, höher und schneller
Gaben die Studienteilnehmer an, an einem Tag tatsächlich von einem Termin in den anderen gehetzt zu sein oder vom Chef einen Rüffel bekommen zu haben, konnten die Wissenschaftler um den Psychologen Markus Langer signifikante Veränderungen in der Stimme messen: „Zum einen stieg die Intensität der Stimme, das heißt, die Menschen haben etwas lauter gesprochen“, erklärt Langer. „Darüber hinaus war die Stimme höher, und sie haben schneller gesprochen als üblich.“
Um das festzustellen, haben die Wissenschaftler die physikalisch messbaren Stimmdaten – also Höhe, Geschwindigkeit, Lautstärke – jedes einzelnen Sprechers über die Woche gemittelt und dann Abweichungen zu diesem Mittelwert pro Tag gemessen. „Die kleinen Veränderungen, die wir so messen konnten, sind oft für menschliche Ohren gar nicht auffällig, aber im Computer sind die Unterschiede signifikant messbar“, fasst Studienleiter Markus Langer zusammen. Die jetzt vorgelegte Studie wurde im Fachmagazin „Psychological Science“ veröffentlicht.
Stress wird oft lange und tapfer kleingeredet
Die Antwort auf Frage „Fühlen Sie sich gestresst?“, welche in der Studie aus dem Saarland ebenfalls gestellt wurde, zeigte übrigens keinen Zusammenhang mit dem in der Stimme nachgewiesenen Stresslevel. Das zeigt, dass die eigene Wahrnehmung sich oft nicht hundert Prozent mit dem tatsächlichen Zustand deckt. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn: Fragt man die Leute, ob sie gestresst sind, sagen viele ‚Ach, nein, das geht schon‘, obwohl es schon längst an der Zeit wäre, etwas an der Arbeitsorganisation zu ändern“, erläutert Markus Langer die drohenden gesundheitlichen Folgen von Stress, der nicht richtig wahrgenommen wird. Oft sei das Belastungslevel dann schon so hoch, dass die Personen nicht mehr wirklich mit dem täglichen Stress umgehen könnten – bis hin zu Fällen, die dann schon fast im klinischen Bereich anzusiedeln sind – Beispiel: Burnout.