Das als Narkosemittel aber auch als Partydroge bekannte Ketamin hat sich bei der Behandlung von Depressionen als vielversprechend erwiesen. Seine genaue Wirkung auf das Gehirn war bislang unklar. Nun gibt es einen Erklärungsansatz; Das Medikament bremst die Aktivitäten von Nervenzellen in einer erbsengroßen Struktur in der Mitte des Gehirns.
In klinischen Studien wirkt Ketamin viel schneller als gängige Antidepressiva und verbessert die Symptome innerhalb von Stunden statt Wochen. Die Erkenntnis, welches Wirkmuster hinter diesem Effekt steht, könnte zum Kernmechanismus der Depression führen, sagt Studien-Autorin Hailan Hu, Neurowissenschaftlein an der Medizinischen Fakultät der Zhejiang Universität in Hangzhou.
Anti-Belohnungs-Zentrum ist überaktiv
Hu geht davon aus, dass das Ketamin auf eine Region in der Mitte des Gehirns wirkt, die laterale Habenulae, das sogenannte „Anti-Belohnungs-Zentrum“. Diese Region hemmt in der Nähe liegende Belohnungs-Zentren, die beim Lernen nützlich sein können. Immer wenn ein Affe an einem Hebel zieht, bekommt er eine Belohnung. Fällt die Belohnung eines Tages aus, wird die laterale Habenulae die Aktivität der Belohnungsbereiche reduzieren, und der Affe wird in Zukunft weniger wahrscheinlich den Hebel ziehen.
In einer Reihe von Experimenten mit depressiven Mäusen und Ratten fanden die Forscher heraus, dass in einem kleinen Teil der lateralen Habenulae Neuronen überktiv waren und in sehr kurzen Abständen feuerten beziehungsweise sich entluden. Im Gehirn von normalen Ratten betrug der Anteil der schnellfeuernden Neuronen 7 Prozent, bei depressiven Ratten betrug die Anzahl 23 Prozent.
Depressive Mäuse blieben bewegungslos
Bei Mäusen zeigte sich das gleiche Muster: Tiere, die unter Stress gesetzt wurden, erlebten mehr dieser plötzlichen Entladungen („bursts“). Diese schienen depressionsähnliche Zustände zu verursachen. Als die Forscher eine weitere Technik einsetzten, um die Entladungen in der lateralen Habenulae zu erhöhen, verhielten sich die Mäuse noch inaktiver und blieben etwa bewegungslos, als ihr Behälter mit Wasser gefüllt wurde. Man glaubt, dass diese Art von Verzweiflung den Gefühlen der Hoffnungslosigkeit ähnelt, die bei Depressionen auftreten.
Wenn depressive Mäuse und Ratten Ketamin erhielten, war die Anzahl der sich entladenden Zellen viel geringer, ähnlich der Anzahl bei normalen Tieren. Und selbst als die Forscher die Neuronen dazu zwangen, sich stärker zu entladen, zeigten Tiere, denen Ketamin verabreicht wurde, keine depressionsähnlichen Verhaltensweisen mehr.
Wie Ketamin Depressionen ausbremst
Die Ergebnisse könnten auch erklären, warum Ketamin so schnell wirkt. Durch das sofortige Blockieren beziehungsweise Ausbremsen von „bursts“ in der lateralen Habenulae befreit das Medikament die Belohnungsbereiche von diesen stark hemmenden Signalen. Dies deutet darauf hin, dass auch andere Medikamente, die „bursts“ reduzieren, Depressionen lindern könnten. Nun muss sich zeigen, ob sich mit dem Ketamin auch langanhaltende Effekte ergeben. Die entsprechende Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
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