Wie gesund muss ein Knochenmarkspender sein?
Bei einer Erbkrankheit oder Blutkrebs ist die Transplantation von Knochenmarkzellen meist die einzige Therapieoption. Dafür muss ein passender Spender gesucht und gefunden werden. Doch wie gesund muss ein Knochenmarkspender eigentlich sein? Dieser Frage sind Wissenschaftler vom Twincore Zentrum für Infektionsforschung und vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) nachgegangen. Die Ergebnisse kurz zusammengefasst: Die Gesundheit des Spenders ist für den Erfolg einer Knochenmarktransplantation nicht minder wichtig, als die des Empfängers. Allerdings ging es in der Untersuchung nicht um die aktuelle Gesundheit, denn die muss ohnehin gewährleistet sein und wird genauestens überprüft. Vielmehr haben die Wissenschaftler den langfristigen Effekt von zurückliegenden, abgeklungenen Virusinfektionen auf die Eigenschaften der Knochenmarkstammzellen untersucht und wie sich diese auf den Erfolg einer Transplantation auswirken.
Long-term-Stammzellen im Visier
Besonders im Blick hatten die Forscher die am wenigsten differenzierten und langlebigsten Stammzellen, so genannte ‚long-term-Stammzellen’. Diese Zellen ruhen unter normalen Bedingungen, teilen sich nur sehr selten und sind sozusagen das ‚Backup‘ des blutbildenden Systems. Nur in besonders kritischen Situationen werden sie aktiviert und produzieren dann vermehrt differenzierte Zellen, um lebensbedrohliche Engpässe des Blut- und Immunsystems abzuwenden.
Einer der Notfälle, bei dem diese Stammzellen aktiviert werden, sind starke Entzündungen. Das dabei ausgeschüttete Typ I Interferon weckt die ruhenden Zellen. „Typ I Interferon wird vor allem bei Virusinfektionen in der ersten Abwehrreaktion gebildet. Deswegen haben wir die Typ I Interferon-abhängige Aktivierung von Stammzellen während verschiedener Virusinfektionen untersucht“, sagt Dr. Theresa Frenz vom Institut für Experimentelle Infektionsforschung des TWINCORE. „Besonders hat uns dabei die für Transplantationen bedeutende Zytomegalievirus-Infektion interessiert.“
Nicht alle Virusinfektionen sind bedenklich
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass längst nicht jede Virusinfektion, die eine Interferonausschüttung auslöst, automatisch die ruhenden Knochenmarkstammzellen aktiviert – aber wenn, dann hat das deutliche Auswirkungen auf den Erfolg der Transplantation: Die Forscher haben Stammzellen, die durch eine Zytomegalievirus-Infektion aktiviert wurden, transplantiert, „und diese aktivierten Zellen arbeiten nach der Transplantation deutlich schlechter – sie differenzieren nicht mehr so ausgewogen und zuverlässig“, sagt Dr. Christoph Hirche. „Wirklich verblüffend ist aber die Beobachtung, dass die Knochenmarkzellen auch noch mehrere Wochen nach der Infektion schlechter funktionieren. Obwohl diese Stammzellen wieder vollkommen ‚erholt‘ aussehen, füllen sie das Blut- und Immunsystem schlechter auf und zeigen ein verändertes Differenzierungsprofil.“ Ein Effekt, der sich erst nachvollziehen lässt, wenn die Forscher nicht nur das gesamte Knochenmarksgewebe, sondern die einzelnen Stammzellen genauer betrachten: Diese zeigen nämlich auch nach Wochen noch Anzeichen einer Entzündung auf genetischer Ebene.
Erfolg hängt von Infektionsvergangenheit des Spenders ab
Wie stark muss eine Virus-Infektion beim Menschen tatsächlich sein, um die long-term-Stammzellen aus ihrem Ruhezustand zu wecken und sie auch über die akute Phase der Infektion hinweg langfristig zu beeinflussen? Die Wissenschaftler wissen es noch nicht. „Aber was wir wissen ist, dass künftig der Infektionshintergrund von Stammzellspendern genauer untersucht werden sollte“, betont Prof. Ulrich Kalinke, Leiter des Instituts für Experimentelle Infektionsforschung. „Der Erfolg oder auch Misserfolg einer Knochenmarkstransplantation hängt offenbar auch maßgeblich von der Infektionsvergangenheit des Spenders, und nicht nur vom Gesundheitszustand des Empfängers ab. Das sind wichtige Erkenntnisse für die Transplantationsmedizin.“
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