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„Weniger Fleisch auf dem Teller wäre für das Klima besser”

Dienstag, 17. Dezember 2019 – Autor: Anne Volkmann
Welchen Einfluss hat unsere Ernährung auf den Klimawandel? Das untersucht Dr. Isabelle Weindl vom Potsdam-Institut für Klimaforschung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit ihr über Landnutzung, Fleischkonsum und Klimaschutz gesprochen.
Dr. Isabelle Weindl, PIK

Isabelle Weindl

Dr. Weindl, wenn es um die Ursachen des Klimawandels geht, denken viele Menschen vor allem an den Verkehr und die Energieversorgung. Doch es wird immer klarer, dass Landwirtschaft und Ernährung ebenfalls eine große Rolle spielen. Können Sie uns dazu Näheres sagen?

Weindl: Tatsächlich stellt die Energieversorgung nach wie vor das größte Risiko für das Klima dar. Hier entstehen 35 Prozent aller vom Menschen gemachten Treibhausgasemissionen. Danach kommen aber schon Land- und Forstwirtschaft sowie andere Arten der Landnutzung, die zusammen für 24 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind - also immerhin für fast ein Viertel. Aus dem Verkehrssektor stammen hingegen „nur“ 14 Prozent der Emissionen.

Warum tragen Land- und Forstwirtschaft so stark zum Klimawandel bei?

Weindl: Das hat unterschiedliche Gründe. Ein großes Problem sind die sogenannten Landnutzungsänderungen. Dazu gehört die Abholzung von Wäldern, um mehr Fläche für Ackerbau und Weidewirtschaft zu erhalten. Dabei wird CO2 freigesetzt. In der Landwirtschaft werden wiederum große Mengen Methan emittiert, zum Beispiel durch die Verdauung bei Rindern. Ein anderes, besonders klimaschädliches Treibhausgas, das Lachgas, entsteht durch die Lagerung und Aufbereitung von organischen Düngemitteln aus der Tierhaltung sowie durch die Ausbringung von organischem und anorganischem Stickstoffdünger.

Die Viehhaltung spielt also eine zentrale Rolle?

Weindl: Ja, denn die Tiere und der anfallende Dung produzieren zum einen selbst Treibhausgase, zum anderen ist es aber auch die Futtermittelproduktion, die so problematisch ist. Weltweit wird rund ein Drittel des produzierten Getreides für die Fütterung von Tieren verwendet. Und die Flächen müssen ja erst einmal bereitgestellt werden. Es werden also Wälder abgeholzt, die dann wiederum als CO2-Speicher fehlen. Zudem müssen die Flächen gedüngt werden, was die Treibhausgasemissionen noch einmal erhöht.

Was kann jeder Einzelne tun, um dieser fatalen Entwicklung entgegenzuwirken?

Weindl: Wir könnten sehr viel erreichen, wenn wir unsere Ernährung in wohlhabenden Ländern ändern würden. Damit ist gemeint, dass wir uns von einer stark auf tierischen Lebensmitteln beruhenden Ernährung weg und hin zu einer stärker pflanzlich basierten Ernährung orientieren sollten. Für den Klimaschutz ist eine sogenannte „flexitarische“ Ernährung mit mehr Gemüse und einem deutlich reduzierten Anteil an Fleisch, Eiern und Milch sehr positiv, natürlich auch eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise. Weniger Fleisch auf dem Teller wäre also besser – dennoch ist es nicht unbedingt nötig, ganz auf tierische Nahrungsmittel zu verzichten. Eine Reduktion würde schon viel bringen.

In einer Ihrer Studien, die auch im Sonderbericht des Weltklimarats über Klimawandel und Landnutzung zitiert wurde, haben Sie gezeigt, wie sich eine Veränderung unserer Ernährungsgewohnheiten auf unseren ökologischen Fußabdruck auswirken könnte.

Weindl: Wir konnten zeigen, dass sich die bis 2050 prognostizierten CO2-Emissionen aus Landnutzungsänderungen um bis zu 78 Prozent senken ließen, wenn die Menschen den Anteil an tierischen Kalorien in ihrer Ernährung auf 15 Prozent zurückfahren würden. Dieses maximale Einsparungspotenzial kann aber nur erreicht werden, wenn die landwirtschaftliche Produktivität in gleichem Maße steigt wie in dem Vergleichsszenario mit unvermindertem Konsum tierischer Nahrungsmittel. In Industrienationen liegt der durchschnittliche Anteil an tierischen Kalorien in unserer Nahrung zurzeit bei etwa 30 Prozent. Wir müssten unseren Fleisch- und Milchkonsum also halbieren.

Das wäre ja auch für die Gesundheit gut.

Weindl: Richtig. In Deutschland verzehrt zurzeit jeder Bürger im Durchschnitt etwa 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sagt jedoch, für die Gesundheit wäre es besser, höchstens 31 Kilogramm Fleisch pro Jahr zu essen. Das würde also ziemlich genau mit den Werten übereinstimmen, die wir in unserer Studie untersucht haben.

Dabei ist doch auch zu bedenken, dass es viele Vegetarier und Veganer gibt, die gar kein Fleisch essen. Die Fleischesser verzehren also jährlich sogar noch mehr Fleisch.

Weindl: Ja, dieser Durchschnitt setzt sich zusammen aus vielen verschiedenen Ernährungsgewohnheiten. Allerdings zeigen die durchschnittlichen Werte der letzten Jahre, dass sich der Verzehr von Fleisch in Deutschland stabilisiert und sogar ganz leicht zurückgeht.

Wie steht es mit Milchprodukten und Eiern?

Weindl: Die in unserer Studie untersuchte Reduzierung tierischer Nahrungsmittel bezieht sich nicht nur auf den Verzehr von Fleisch. Auch das Ausmaß, in dem Milch, Butter, Käse und Eier in unserer Ernährung vorkommen, ist nicht gut für das Klima. Wer viel Milchprodukte und Eier isst, müsste seinen Fleischkonsum noch mehr einschränken. Wer hingegen sehr wenig davon zu sich nimmt, kann sich in der persönlichen Klimabilanz auf dem Teller etwas mehr Fleisch leisten, insbesondere Geflügel.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verschwendung von Nahrungsmitteln.

Weindl: Ja, ein sehr wichtiger Punkt. Hier kann jeder selbst etwas tun, indem er überlegter einkauft, kocht und Reste weiterverwendet. Aber auch der Handel, die Gastronomie und Lebensmittelverarbeitung sind gefragt. Besonders in Privathaushalten und in der Gastronomie werden die benötigten Mengen schlecht kalkuliert, noch verwertbare Produkte mit dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums weggeworfen und Nahrungsmittel schlecht gelagert.

Der Klimawandel ist ja längst im Gange. Können wir überhaupt noch etwas ausrichten?

Weindl: Die Wissenschaft zeigt, dass wir etwas ausrichten können – aber es ist sehr schwierig. Der IPCC-Sonderbericht über die Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius hat dargelegt, dass es theoretisch noch möglich ist, die Erwärmung bei diesen 1,5 Grad zu halten, also noch unter den vom Pariser Klimaabkommen vorgegeben zwei Grad. Doch dazu braucht es eine große Entschlossenheit aller Akteure. Und die Zeit ist knapp.

Was kann die Politik tun?

Weindl: Als effektives Instrument gilt die CO2-Bepreisung, zum Beispiel im Rahmen eines Emissionshandelssystems, wie sie ja jetzt auch vom Klimaschutzgesetz der Bundesregierung vorgesehen ist. Wichtig wird es jedoch nicht nur sein, dass wir die Treibhausgasemissionen begrenzen, sondern auch, dass wir negative Emissionen erzeugen, also CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Die Aufforstung von Wäldern würde dazu wesentlich beitragen. Auch Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung oder die Verwendung von Holz statt Beton und Stahl als Baumaterial sind denkbar. Auf welchem Temperaturniveau wir uns dann stabilisieren, hängt davon ab, wie schnell wir handeln.

Was halten Sie von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte?

Weindl: Darüber wird diskutiert. Dieser Ansatz ist jedoch insofern problematisch, als dass hier das Preissignal lediglich proportional zum aktuellen Preis wirken würde. Dadurch würde eine Erhöhung der Mehrwertsteuer besonders bei Billigfleisch nur wenig Veränderung mit sich bringen. Gleichzeitig würden ohnehin schon teurere Bioprodukte stärker belastet werden. Wenn der Preis tierischer Produkte dagegen auch Methan-Emissionen von Wiederkäuern, den Stickstoffüberschuss von landwirtschaftlichen Betrieben oder verbesserte Tierwohlstandards abbilden soll, dann müsste auch eine Besteuerung gezielt in diese Richtung gehen.

Eine letzte Frage: Woran forschen Sie zurzeit?

Weindl: Mich interessiert gerade nicht nur die Frage, wie durch unsere Ernährung etwa der Landverbrauch reduziert werden könnte, sondern auch wie sich das auf den landwirtschaftlichen Stickstoffkreislauf auswirkt, wieviel Kohlenstoff in Vegetation und Boden gespeichert werden kann. Auch der Wasserverbrauch in der Landwirtschaft ist ein wichtiges Thema. Insgesamt geht es darum herausfinden, welche Ernährungsweise sowohl gesund für den Menschen ist als auch gut für die Umwelt.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Dr. Isabelle Weindl ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Hauptkategorie: Umwelt und Ernährung
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