Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Was wir über die Krankheit Covid-19 sicher wissen

Donnerstag, 20. Mai 2021 – Autor:
Die größte Pandemie seit 100 Jahren hat weltweit einen beispiellosen Wettlauf um wissenschaftliche Erkenntnisse ausgelöst. Selbst Experten fällt es schwer, hier die Übersicht zu behalten. Was ist fundiert, was vorläufig, was eine bloße Hypothese? Eine europäische Gruppe von Wissenschaftlern hat aus der Flut von Informationen jetzt gesichertes Wissen über Covid-19 herausgearbeitet.
Mikroskopische Darstellung Coronavirus (Grafik)

SARS-CoV-2: Ein untypisches Coronavirus, das eine fehlgeleitete Immunantwort im Körper auslöst und besonders in den Blutgefäßen Schäden verursacht – eine neue Definition des Virus durch ein europäisches Forscherteam. – Foto: AdobeStock/Alexander Limbach

Wahrscheinlich nie zuvor in der Weltgeschichte hat eine Krankheit die Wissenschaft weltweit so elektrisiert wie Covid-19. Eineinhalb Jahre nach dem erstmaligen Auftreten einer bis dahin völlig unbekannten Krankheit hat sich inzwischen eine ganze Flut von Erkenntnissen aus nahezu allen biomedizinischen Fachdisziplinen aufgebaut, die selbst für Experten kaum noch beherrschbar ist. Fundierte Erkenntnisse, vorläufige Befunde und Hypothesen sind schwer auseinanderzuhalten – mit merklichen Folgen, auch was das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft betrifft.

Wie „funktioniert“ die Krankheit Covid-19?

Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern unter Beteiligung der deutschen Universitätsklinika in Jena und Göttingen hat sich jetzt die Arbeit gemacht, die Masse der bisher dazu erschienenen Publikationen zu sichten und kritisch auszuwerten – um aus diesem Überfluss an Informationen gesichertes Wissen über die Coronavirus-Erkrankung herauszuextrahieren. Diese „European Group on Immunology of Sepsis“ (EGIS), an der 27 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zehn Ländern beteiligt sind,  hat nun und in einem ausführlichen Übersichtsartikel die wichtigsten Erkenntnisse darüber zusammengefasst, wie die Krankheit Covid-19 „funktioniert“.

1. SARS-CoV-2: Ein untypisches Coronavirus

Erstes zentrales Ergebnis zu den Krankheitsmechanismen von Covid: Im Unterschied zu anderen Corona-Viren, die häufig nur milde bis moderate Erkältungssymptome verursachen, vermehrt sich SARS-CoV-2 in den unteren Atemwegen und löst so eine schwere Lungenentzündung bis hin zu akutem Lungenversagen aus. Und: Covid-19 ist infektiöser als andere Coronavirus-Erkrankungen, weil sich der Erreger gleichzeitig auch in den oberen Atemwegen ansiedelt und dort vermehrt. Gleichzeitig ist die SARS-CoV-2 ausgelöste körpereigene Abwehrreaktion äußerst komplex und uneinheitlich ausfällt. Dadurch fehlen aber wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung evidenzbasierter Behandlungsstrategien.

2. Covid-19 schädigt zuallererst die Blutgefäße

„Erstaunlich ist die Erkenntnis, dass wir in einer bestimmten Phase der Erkrankung Patienten sehen, deren Sauerstoffgehalt im Blut kritisch reduziert ist, die aber zunächst oft keine Einschränkungen der Lungenbelüftung zeigen“, sagt Martin Winkler von der Universitätsmedizin Göttingen. Im Ruhezustand – ohne jegliche Anstrengung – atmeten Patienten „nicht selten ein Vielfaches als normal üblich“. Grund für diese Form von schwerem Sauerstoffmangel: Die virale Infektion betrifft zunächst eher die Blutgefäße als die belüfteten Areale der Lunge. Aus der virusbedingten Schädigung der innersten Zellschicht von Blutgefäßen (Endothel) heraus erklären sich demnach auch andere häufige COVID-19 typische Organkomplikationen, etwa durch Thrombosen oder Gerinnungsstörungen.

3. Untypische Entzündung erschwert Immunantwort

Entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine) spielen auch bei anderen schweren Infektionen eine Rolle. Das ist bekannt. Der Unterschied: Bei Covid-19 werden diese Botenstoffe zwar in deutlich niedrigerer Konzentration produziert – aber dafür länger. Dieses untypische Entzündungsprofil unterscheidet nach Ansicht der Wissenschaftler Covid-19 von verwandten Krankheitsbildern und erschwert möglicherweise die Immunantwort und damit auch die effiziente Elimination des Virus.

4. Multiorganversagen und Gerinnungsstörungen

Im Verbund mit einer fehlregulierten Entzündungsantwort kann die Schädigung der Gefäßinnenwände nicht nur die Lunge, sondern auch Organe wie Gehirn, Herz, Nieren, Darm und Leber in Mitleidenschaft ziehen. Verglichen mit einer Influenza-Grippe oder SARS treten bei Covid-19 Komplikationen wie Multiorganversagen und schwere Gerinnungsstörungen häufiger auf. „SARS" bedeutet: „Schweres akutes Atemwegssyndrom“, verursacht durch das SARS-Coronavirus Nummer eins. Hier kam es 2002/2003 schon einmal zu einer Pandemie, jedoch mit nur nur 800 Toten weltweit.

Fazit: „Fehlregulierte Antwort des Immunsystems“

Unterm Strich kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss: Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein neues infektiöses Pathogen, welches unser Immunsystem vor eine neue Herausforderung stellt. „Es wird damit verständlich, dass unsere Herangehensweise nicht die sein darf, bekannte und bisher vertretene Konzepte schlicht auf Covid-19 zu übertragen“, sagt der Wiener Traumatologe Marcin Osuchowski. „Es wird zunehmend deutlich, dass die Schwere von COVID-19-Erkrankungen mit einer fehlregulierten Antwort des Immunsystems in Zusammenhang steht, die sich von bislang bekannten Mechanismen und Ursachen einer Sepsis unterscheidet.“

Covid-19: Eine neue Definition

Nach Auswertung ihrer Quellen fasst die Autorengruppe ihre Erkenntnisse in einer neuen Definition der Coronavirus-Erkrankung zusammen. Für sie ist Covid-19 „eine neuartige virale Erkrankung mit einem ausgeprägten vaskulären Entzündungsanteil, die in schweren Verläufen durch eine fehlregulierte Immunantwort auf die virale Infektion gekennzeichnet ist“.

Hauptkategorie: Corona
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Forschung , Gefäßerkrankungen , Immunsystem , Infektionskrankheiten

Weitere Nachrichten zum Thema „Krankheitsbild Covid-19“

Aktuelle Nachrichten

Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin