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Was Hirntumore so gefährlich macht

Dienstag, 3. Januar 2023 – Autor:
Hirntumore sind selten. Treten sie auf, können sie aber besonders aggressiv sein. Krebsforscher aus Heidelberg haben herausgefunden, dass Glioblastome eine regelrechte Steuerzentrale besitzen, die ihr Wachstum vorantreibt und ihre Widerstandskraft erhöht.
Gehirntumor - grafische Darstellung mit Schnittbild des Kopfes und dem Tumor im Detail.

Das Glioblastom gilt als besonders aggressive Tumorform. – Foto: Adobestock/freshidea

In den Top 25 der häufigsten Krebsarten in Deutschland, die das Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) herausgibt, kommen Hirntumore überhaupt nicht vor. Wenn sie aber auftreten, sind sie offenbar besonders gefährlich. Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (DKFZ) haben jetzt Glioblastome untersucht – das sind höchst aggressive Hirntumore. Dabei entdeckten sie, warum sie so gefährlich sind: Einzelne, besonders gut vernetzte Zellen im Tumorgewebe entwickeln sich ihrerseits zu einer Art Gehirn und nehmen eine Schrittmacherrolle ein.

Krebs-Schrittmacher: Ähnlich wie der Rhythmus im Herz

Den Erkenntnissen der Heidelberger Onkologen zufolge geben diese Schrittmacherzellen den Takt von Aktivitätssignalen für das gesamte Tumorzell-Netzwerk vor – „mit gravierenden Folgen“, wie es in einer Mitteilung des UKHD heißt: Das Aktivitätsmuster aktiviert in den Tumorzellen zwei molekulare Mechanismen, die das Wachstum des Glioblastoms vorantreiben und dessen enorme Widerstandskraft erhöhen. Zudem identifizierte das Forscher-Team um Professor Dr. Frank Winkler den Ionen-Kanal, der den Tumorzellen ihre Schrittmacherqualitäten verleiht.  

Forscher: „Haben Code der Tumor-Kommunikation geknackt“

„Der Tumorrhythmus funktioniert ähnlich wie der Herzrhythmus“, sagt David Hausmann, der Erstautor der Studie, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal „Nature“ veröffentlich wurden. Was im Herz zur Muskelkontraktion und zum Herzschlag führt, hat bei Glioblastomen die Aktivierung von zwei bestimmten molekularen Mechanismen (MAPK und NF-κB) zur Folge,  die diese Tumorform so aggressiv, gefährlich und widerstandsfähig machen. „Die Schrittmacherzellen senden in einer ganz bestimmten Frequenz und die ist offensichtlich der Aktivierungscode für genau diese beiden Signalwege“, sagt Mit-Autor Winkler. Studienmentor Winkler sagt über die Bedeutung der Studienergebnisse: „Damit haben wir gewissermaßen den Code der Tumor-Kommunikation geknackt.“

Warum Gehirntumore so schwer zu behandeln sind

Diese intelligente Selbstorganisation ist offenbar auch ein Grund dafür, warum die Therapie von Gehirntumoren bisher so schwierig war. „Die Tumorzellen der Glioblastome bilden ähnlich wie gesunde Hirnzellen ausgedehnte Netzwerke und infiltrieren damit weite Teile des Gehirns“, heißt es in einem Statement der beiden Heidelberger Forschungsinstitutionen. „Dank dieser Verzweigungen lassen sie sich durch eine Operation nicht vollständig entfernen und überstehen auch intensive Chemo- und Strahlentherapie.“

Neuer Therapieansatz im Tierversuch bestätigt

Im Rahmen ihrer jetzt vorgelegten Studie entdeckten die Forscher aber nicht nur Funktionsmechanismen des Gehirntumors, sondern auch einen erfolgversprechenden Ansatzpunkt für künftige mögliche Therapien: Im Tierversuch konnten sie feststellen, dass die gezielte Hemmung des als Schrittmacher auftretenden Ionen-Kanals das Tumorwachstum ausbremsen und zum Absterben von Teilen des Tumornetzwerks führen kann.

Gehirntumor-Therapie: Es gibt bereits einen Wirkstoff-Kandidaten

Die Arbeitsgruppe zeigte, dass sich nur wenige Prozent der Glioblastomzellen zu Schrittmachern entwickeln. Für eine erfolgreiche Therapie bedeutet das: Wenn einzelne von ihnen gezielt ausgeschaltet werden, sterben auch die sie umgebenden Zellen ab. „Mit den Schrittmachern haben wir eindeutig eine Achillesferse der Glioblastome entdeckt“, sagt Professor Dr. Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik am UKHD. „Wenn es uns gelingt, den Kanal KCa3.1 effektiv zu blockieren und damit die Schrittmacher auszuschalten, könnte das die Tumoren nachhaltig schwächen und ihnen die Überlebensvorteile ihres Netzwerks nehmen.“

Einen passenden Wirkstoffkandidaten gibt es nach Auskunft der Forscher bereits. Erste Tests bei Mäusen seien vielversprechend verlaufen. Ob diese Therapie auch beim Menschen greift, muss in einem nächsten Schritt in klinischen Studien geprüft werden.

Hauptkategorie: Medizin
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