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„Viele Patienten mit CFS sind nicht mehr arbeitsfähig”

Mittwoch, 14. März 2018 – Autor: Anne Volkmann
Das Chronische Fatigue Syndrom (CFS) bedeutet für viele Patienten meist einen weitgehenden Verlust ihres bisherigen Lebens. Dennoch gibt es bisher kaum wirksame Therapien und zu wenig Forschung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit Professor Carmen Scheibenbogen über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten gesprochen.
Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen

– Foto: © Charité

Professor Scheibenbogen, was genau ist das Chronische Erschöpfungssyndrom bzw. Chronic Fatigue Syndrom (CFS)?

Scheibenbogen: CFS ist eine komplexe Erkrankung, die neben der Fatigue (einer krankhaften Erschöpfung) mit unterschiedlich ausgeprägten körperlichen und neurokognitiven Symptomen einhergeht. Charakteristisch ist der meist akute Beginn mit einem Infekt. Es folgen eine schwere Fatigue, oft begleitet von Halsschmerzen, Kopfschmerzen, grippeähnlichen Symptomen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Konzentrations-, Gedächtnis- und Schlafstörungen. Als Synonym wird für CFS im Englischen auch der Begriff myalgische Enzephalopathie (ME) verwendet. 

Was bedeutet die Erkrankung für die Patienten konkret?

Scheibenbogen: Charakteristisch für CFS ist die Verschlechterung nach einer Anstrenung. Oft tritt diese von Patienten meist eindrucksvoll geschilderte sogenannte postexertionelle Fatigue oder Malaise erst am Abend oder Folgetag auf, kann dann aber tage- und manchmal sogar wochenlang anhalten. Das Krankheitsbild geht zudem fast immer auch mit neurokognitiven Symptomen einher, wie schweren Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Ein weiteres typisches Problem sind die trotz der schweren Erschöpfung bestehenden Ein- und Durchschlafstörungen und der nicht erholsame Schlaf. Als immunassoziierte Symptome können subfebrile Temperaturen, schmerzhafte Lymphknotenschwellungen und Halsschmerzen auftreten. Oft entwickeln sich gastrointestinale Beschwerden im Sinne einer Reizdarmsymptomatik, eine Unverträglichkeit gegen viele Nahrungsmittel und Medikamente und eine chronische unspezifische Entzündung der Atemwege mit Sinusitis oder Reizhusten. Gerade die immunassoziierten Symptome können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und verschlimmern sich häufig durch Infekte. Viele Patienten sind so schwer krank, dass sie nicht mehr arbeitsfähig sind.

Welche Ursachen hat das CFS?

Scheibenbogen: Die genauen Pathomechanismen der Erkrankung sind noch nicht bekannt. Es gibt aber eine Reihe von Hinweisen, dass es sich um eine Störung des Immunsystems ähnlich wie bei einer Autoimmunkrankheit handelt, die als Folge einer Infektion auftritt. Eine Autoimmunkrankheit liegt vor, wenn sich das Immunsystem durch eine Fehlsteuerung auch gegen körpereigene Strukturen richtet. Neue Untersuchungen weisen auch auf schwere Störungen im Energiestoffwechsel hin. Häufig besteht auch ein Mangel an Antikörpern (Immunglobulinen), der zu einer Anfälligkeit für Infektionen führt. 

Lange Zeit wurde CFS als Erkrankung gar nicht wahrgenommen. Hat sich das mittlerweile geändert?

Scheibenbogen: Auch heute noch erhalten viele Patienten keine Diagnose oder werden fehldiagnostiziert. Nicht selten werden ihre Symptome als Depression oder Burn-out missverstanden. Zudem wird die Schwere der Erkrankung häufig unterschätzt.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Scheibenbogen: CFS wird bislang nur über klinische Symptome definiert. Als Diagnosekriterien werden am häufigsten die sogenannten Kanadischen Kriterien verwendet. Da eine chronische Fatigue jedoch auch bei vielen anderen Erkrankungen auftritt, muss der behandelnde Arzt auch andere mögliche Ursachen für die Erschöpfung abklären. So können auch ein schwerer Eisenmangel, eine Schilddrüsenerkrankung, Schlafstörungen, chronische Infektionen, Autoimmunerkrankungen, eine Krebserkrankung oder Depression mit schwerer Fatigue einhergehen. Bislang gibt es auch keine eindeutigen Blutwerte, die CFS zweifelsfrei anzeigen. Die ausgeprägte und langanhaltende Zunahme der Symptome nach Belastung tritt jedoch bei den meisten anderen Formen der Fatigue nicht auf.

Welche Behandlungsmethoden gibt es zurzeit, um die Symptome eines CFS einzudämmen?

Scheibenbogen: Momentan erfolgt die Behandlung symptomorientiert und als eine Therapie der kleinen Schritte. Das heißt, es sollten zunächst die belastendsten Symptom wie Schmerzen und Schlafstörungen behandelt werden. Viele Patienten entwickeln auch Mangelzustände, insbesondere an Vitamin D und Eisen, oft auch Vitamin B1 und Zink, welche dann ausgeglichen werden sollten. Auch eine Verminderung von Aminosäuren konnte gezeigt werden, so dass eine eiweißreiche Ernährung sinnvoll erscheint. Kleine Studien zeigen, dass manchen Patienten hochdosiertes Magnesium und sogenannte Nahrungsergänzungsmittel wie Coenzym Q10 oder Ribose helfen. Viele Patienten leiden an häufigen Infektionen und Allergien, die sorgsam behandelt werden sollten, da sie oft zu einer Zunahme der Beschwerden führen. Bei manchen CFS-Patienten findet sich ein Mangel an Immunglobulinen, der, wenn ständie und langwierige Infekte bestehen, auch ersetzt werden kann.

Was können die Patienten zusätzlich selbst tun?

Scheibenbogen: Wichtig sind Maßnahmen der Verhaltensanpassung. Aktivitätstagebücher oder Anleitungen, wie man mit seinen Kräften richtig umgeht, gehören dazu. Patienten sollten ihre Kräfte so einteilen, dass sie eine Verschlimmerung vermeiden. Auch Techniken zur Entspannung wie autogenes Training, Meditation oder Yoga können hilfreich sein. Sport hingegen ist nicht zu empfehlen, da er zu einer Zunahme der Beschwerden führt.

Können Patienten mit CFS wieder gesund werden?

Scheibenbogen: Es handelt sich oft um eine chronische Erkrankung. Es gibt aber Patienten, die wieder vollständig genesen. Dazu ist das Vermeiden von Überlastungen ebenso wie die symptomorientierte Therapie hilfreich.

An wen können sich betroffene Patienten wenden?

Scheibenbogen: Die Versorgungssituation für Patienten mit CFS ist in Deutschland bislang sehr unbefriedigend, da es keine spezialisierten Zentren gibt und die Diagnostik und Betreuung dieser oft schwer kranken Patienten primär beim Hausarzt erfolgen muss. Patienten finden auch Informationsmaterial bei der Stiftung Lost Voices, der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und der Selbsthilfegruppe Fatigatio. Zudem haben einige Rehabilitationskliniken Fachabteilungen für Patienten mit Chronischem Fatigue Syndrom.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um Betroffenen das Leben zu erleichtern?

Scheibenbogen: CFS ist eine komplexe und bislang wenig erforschte Erkrankung. Wir bräuchten Förderprogramme für die Erforschung der Krankheitsmechanismen und für klinische Studien zu CFS. Da die Betreuung der Patienten über den Hausarzt erfolgt, müssten, wie für andere Patienten mit chronischen Erkrankungen auch, Spezialtarife und Disease Management Programme angeboten werden, was bisher nicht der Fall ist. Zudem brauchen wir Unterstützung für die Fortbildung und Beratung von Ärzten. Das ist unter anderem eines der Ziele des Charité Fatigue Zentrum, das sich gerade im Aufbau befindet.

Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen ist Fachärztin für Hämatologie/Onkologie sowie stellvertretende Leiterin am Institut für Medizinische Immunologie des Charité Campus Virchow Klinikum.

Hauptkategorie: Medizin
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