Versorgung psychisch Erkrankter muss verbessert werden
In der Diskussion wurde vor allem deutlich, dass es sich bei psychischen Erkrankungen nicht um eine Randerscheinung handelt. Mario Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales in Berlin, machte in seiner Grundsatzrede darauf aufmerksam, dass rund 40 Prozent aller Bürger im Laufe ihres Lebens eine behandlungsbedürftige psychische Krankheit bekommen. In Anbetracht dieser Zahl werde das Thema von Industrie und Wirtschaft, aber auch von Medien und Schulen zu wenig beachtet. Czaja erklärte zudem, dass bei der Versorgung psychisch Erkrankter noch zu viele Defizite und Brüche zu verzeichnen seien. Zwar gebe es schon positive Einzelbeispiele für eine verbesserte Versorgung wie regionale Verbundsysteme oder die Integrierte Versorgung, bei der Krankenhäuser, ambulante Leistungsbringer und Kostenträger zusammenarbeiten. Doch eine umfassende strukturelle Veränderung sei noch in weiter Ferne. Der Senator erklärte, sich während seiner Amtszeit für Verbesserungen bei diesem Thema einsetzen zu wollen.
Auch die anderen Teilnehmer der Diskussion waren sich einig, dass die Versorgung psychisch Erkrankter noch defizitär sei. Heinrich Beuscher, Landesbeauftragter für Psychiatrie in Berlin, erklärte, dass man aufgrund der Versorgungslücken zu viele Menschen unterwegs verliere. Man bräuchte abgestimmte Versorgungspfade und eine kontinuierliche Begleitung des Patienten, die von der stationären über die ambulante Behandlung bis hin zur berufliche Rehabilitation, Eingliederungshilfen und anderen Versorgungsmöglichkeiten reiche. Ein solches Gesamtsystem sei in Deutschland bisher nicht vorhanden. Zu viele Patienten werden nach einem stationären Aufenthalt "ins Leere" entlassen, erklärte auch Dr. Iris Hauth, Chefärztin an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und Ärztliche Direktorin am St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Weissensee. Auch sie betonte die Notwendigkeit eines Ausbaus der medizinischen und beruflichen Rehabilitation für psychisch Kranke.
Arbeit ist für psychisch Erkrankte besonders wichtig
Neben der Defragmentierung der Versorgungsleistungen war ein weiteres wichtiges Thema des Abends die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Prof. Rainer Richter, Präsident der Psychotherapeutenkammer, erklärte, dass psychisch Erkrankte immer noch mit Ausgrenzung kämpfen müssten und bei ihren Mitmenschen auf Unsicherheit und Ängste stiessen. Die Stigmatisierung mache es für Betroffene auch schwierig, den Weg (zurück) ins Arbeitsleben zu finden. Wie Prof. Rainer Hellweg, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité, erklärte, sind viele Arbeitgeber nicht bereit, einen psychisch kranken Arbeitnehmer einzustellen. Dabei sei, so Hellweg, eine regelmässige Arbeit gerade für diese Patienten besonders wichtig. Betroffene, die einen Arbeitsplatz und eine soziale Beziehung haben, hätten eine deutlich bessere Prognose als andere. Hier seien neue Konzepte nötig, die auch politisch unterstützt werden.
Auch Prof. Peter Bräunig, Chefarzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin, betonte, dass Arbeit sinnstiftend sein könne und damit oft stabilisierend auf den Zustand der Betroffenen wirke. Zudem fördere sie die soziale Eingebundenheit. Nötig seien flexiblere Strukturen, die den Patienten einen Weg in die Arbeit ermöglichen. Ulf Fink, Senator a.D. und Vorstandsvorsitzender von Gesundheitsstadt Berlin, der den Abend moderierte, drückte seine Hoffnung aus, dass auch von dieser Veranstaltung ein Signal dafür ausgehe, dass sich Berlin dem Thema in Zukunft stärker widmen werde.
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