Uniklinik Ulm distanziert sich von Aussage zur Krebstherapie mit Methadon

Methadon zeigt bei einigen Krebspatienten eine verblüffende Wirkung. Ärzte sehen darin noch keinen wissenschaftlichen Beweis – Foto: ©Zerbor - stock.adobe.com
Dr. Claudia Friesen ist Molekularbiologin am Universitätsklinikum Ulm. Schon 2007 hat sie herausgefunden, dass Methadon Krebszellen absterben lassen kann. Es sei ein Zufallsbefund gewesen, erklärt sie in einem Beitrag auf Stern TV vom 21. Juni. „Wir wollten ursprünglich die molekularen Mechanismen von Opioiden weiter aufklären. Und zu unserer Verwunderung sind die Tumorzellen mit Methadon gestorben“, berichtet sie.
Dass sie inzwischen mehr als 350 Patientendaten in ihrer Kartei gesammelt hat, deren MRT-Bilder unter der Einnahme von Methadon einen deutlichen Rückgang der Metastasen und zum Teil sogar ein völliges Verschwinden zeigen – auch das erklärt die Wissenschaftlerin vor laufender Kamera. "Ich kenne Patienten, bei denen ein Chemotherapeutikum nicht gewirkt hat. Erst als sie es mit Methadon bekommen haben, sprach es wieder an“, so Friesen bei stern TV. Meistens seien es bettlägerige Patienten, die eigentlich gar nichts mehr machen könnten. „Und wenn die auf Methadon umgestellt werden, können sie plötzlich wieder aufstehen, können wieder ihren Haushalt machen, viele können in den Urlaub fahren, also wieder ein normales Leben führen. Für viele ist allein die Lebensqualität es wert, Methadon einzusetzen“, sagt sie.
Studien fehlen, weil sich mit Methadon nichts verdienen lässt
Warum Methadon nicht längst in der Krebstherapie angekommen ist, erklärt Friesen mit fehlenden klinischen Studien. Und mit erheblichem Widerstand. Das Schmerzmittel sei für die Pharmabranche uninteressant, wahrscheinlich weil es zu billig sei. „Wenn ich sehe was Methadon kostet, zwischen acht und 20 Euro für 100 Milliliter, die vier bis sechs Wochen reichen und vergleiche das mit den sehr teuren Medikamenten, die dann 20.000 bis 25.000 Euro kosten, hat Methadon kaum eine Chance."
Fast zeitgleich greift die ARD das Thema auf. Auch in diesem Beitrag wird Friesen zitiert und auch hier werden Beispiele von Patienten mit Glioblastom, Leukämien und anderen Krebserkrankungen gezeigt, die von ihren Ärzten aufgegeben wurden, aber - vermutlich wegen ihrer Methadon-Therapie - noch leben.
Alles nur ein Missverständnis?
Die Uniklinik Ulm geht nun auf Distanz zu den Aussagen ihrer Mitarbeiterin. In einer Stellungnahme vom 22. Juni erklärt das Klinikum, die Erkenntnisse von Friesens Arbeitsgruppe bezögen sich lediglich auf Experimente mit Zellkulturen oder tierexperimentellen Studien. „Diese Daten lassen sich nicht automatisch auf die Situation beim Patienten übertragen", so das Universitätsklinikum, die Medizinische Fakultät der Uni Ulm und das Comprehensicve Cancer Center Ulm in ihrer gemeinsamen Stellungnahme.
Auch seien die im Beitrag des Bayerischen Rundfunks erwähnten 80 erfolgreich behandelten Patienten nicht am Universitätsklinikum Ulm und nicht im Rahmen von klinischen Studien behandelt worden. „Die Angaben zum Erfolg der Behandlung beruhen nicht auf wissenschaftlichen Publikationen und sind für uns nicht überprüfbar. Es lässt sich daher nicht beurteilen, ob bei diesen Patienten ein möglicher Therapieerfolg auf Grund der Einnahme von Methadon eingetreten ist“, heißt es weiter.
Offenbar will die Klinikleitung auf Nummer sicher gehen und Patienten keine falschen Heilsversprechen machen, zumal Methadon als Krebsmittel in der Ärzteschaft höchst umstritten ist. Der Widerstand, ein Opiat, das seit Jahren auch als Drogenersatzmittel dient, im off-Label-use bei Krebs einzusetzen, ist groß. Meist wird mit unvorhersehbaren Nebenwirkungen (plötzlicher Herzstillstand etc.) dagegen argumentiert.
Charité hat Nebenwirkungen überprüft
Klar ist: Methadon ist im Moment eine experimentelle Krebstherapie, weil klinische Studien mit großen Fallzahlen fehlen. Doch warum sollte ein Patient mit einer niederschmetternden Prognose das Mittel nicht ausprobieren? Dr. Martin Misch von der Neurochirurgischen Klinik der Charité sieht in Methadon jedenfalls eine zusätzliche Chance. „Wenn es der Wunsch ist, eine experimentelle Therapie durchzuführen, dann kann man als Behandler den Patienten ja auch dahingehend beraten und begleiten“, erklärt er in dem ARD-Beitrag. Der Neuro-Onkologe hat unheilbar erkrankten Hirntumorpatienten nicht nur das Mittel schon verschrieben, sondern auch Daten von 27 Patienten für eine Studie gesammelt. Erste Auswertungen zeigen, dass Methadon gar nicht so fatal ist, wie viel Ärzte glauben. Übelkeit und Verstopfung waren demnach die schlimmsten unerwünschten Nebenwirkungen.
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