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Struwwelpeter-Gene entdeckt

Dienstag, 22. November 2016 – Autor:
Ein Team unter Federführung der Universität Bonn fand die Ursachen für das Struwwelpeter-Syndrom: Gen-Mutationen in drei Genen führen bei Kindern zu unkämmbaren Haaren.
Struwwelpeter-Syndrom

Kind mit unkämmbaren Haaren

Manche Kinder leiden unter völlig zersausten Haaren, die sich partout nicht kämmen lassen. Im Deutschen trägt das Phänomen den Namen „Syndrom der unkämmbaren Haare“ oder auch „Struwwelpeter-Syndrom“. Forscher der Universitäten Bonn und Toulouse haben Mutationen in drei Genen identifiziert, die dafür verantwortlich sind. Ihre Studie erschien im American Journal of Human Genetics.

Dass Kinder nicht immer einfach zu frisieren sind, wissen wohl viele Eltern aus eigener Erfahrung. Doch mit Geduld und starken Nerven lassen sich in aller Regel auch die hartnäckigsten Knoten lösen. Beim „Syndrom der unkämmbaren Haare“ haben Bürste oder Kamm keine Chance. Die Betroffenen haben extrem krause, trockene, meist hellblonde Haupthaare mit charakteristischem Glanz, die sich jeder Anstrengung, sie zu bändigen, erfolgreich widersetzen.

Im Erwachsenenalter verschwinden die Symptome

Am ausgeprägtesten sind diese Symptome in der Kindheit und lassen dann mit der Zeit nach. Im Erwachsenenalter lassen sich die Haare meist mehr oder weniger normal frisieren, heißt es weiter in einer Mitteilung der Universität. Über die Ursachen war bislang so gut wie nichts bekannt – wohl auch deshalb, weil das Phänomen relativ selten ist.

Im Jahr 1973 wurde es zum ersten Mal in der Fachliteratur beschrieben, Inzwischen sind weltweit gut einhundert Fälle dokumentiert. „Wir nehmen an, dass es deutlich mehr Betroffene gibt“, erklärt Professor Dr. Regina Betz vom Institut für Humangenetik der Uni Bonn. „Wer unter unkämmbaren Haaren leidet, sucht deshalb nicht unbedingt einen Arzt auf.“ Immerhin weiß man, dass die Anomalie in manchen Familien gehäuft vorkommt. Sie scheint also genetische Ursachen zu haben.

Struwwelpeter-Gene entdeckt

Betz ist Spezialistin für seltene erbliche Haarerkrankungen. „Über Kontakte zu Kollegen aus aller Welt gelang es uns, neun weitere Kinder zu finden“, erklärt sie. Die Bonner Wissenschaftler sequenzierten sämtliche Gene der Betroffenen. Beim Abgleich mit großen Datenbanken stießen sie so auf Mutationen in drei Erbanlagen, die an der Bildung des Haares beteiligt sind.

Die veränderten Gene tragen die Kürzel PADI3, TGM3 und TCHH. Die ersten beiden enthalten die Bauanleitung für Enzyme, das dritte, TCHH, für ein wichtiges Protein des Haarschafts.

Genetische Bauanleitung für die Haare

In gesundem Haar sind die TCHH-Proteine über hauchfeine Hornfäden miteinander vernetzt, die für Form und Struktur des Haares verantwortlich sind. Bei diesem Vorgang spielen die zwei anderen gefundenen Gene eine wichtige Rolle: „PADI3 verändert das Haarschaftprotein TCHH so, dass sich die Hornfilamente an ihm anlagern können“, erklärt die Studien-Autorin Dr. Fitnat Buket Basmanav Ünalan. „Das TGM3-Enzym stellt dann die eigentliche Verknüpfung her.“

Wenn auch nur eine der drei Komponenten nicht funktionell ist, hat das fundamentale Auswirkungen auf die Struktur und Stabilität der Haare. Mäuse, bei denen das PADI3- oder das TGM3-Gen defekt ist, entwickeln daher charakteristische Fell-Anomalien, die dem menschlichen Phänotyp sehr ähnlich sind.

Betroffene müssen sich keine Sorgen machen

„Aus den gefundenen Mutationen lässt sich eine ganze Menge über die Mechanismen lernen, die an der Bildung gesunder Haare beteiligt sind, und warum es manchmal zu Störungen kommt“, freut sich Professor Regina Betz. „Zugleich können wir nun die klinische Diagnose 'unkämmbare Haare' mit molekulargenetischen Methoden absichern.“

Für betroffene Personen mit Haarerkrankungen ist dieser letzte Punkt eine gute Nachricht: Manche Haar-Anomalien gehen mit schweren Begleiterkrankungen einher, die sich mitunter erst in späteren Lebensjahren manifestieren. Das Struwwelpeter-Syndrom tritt dagegen meist isoliert ohne weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen auf. Die unkämmbaren Haare seien zwar lästig und möglicherweise auch eine psychische Belastung, sagt Betz. „Ansonsten müssen sich Betroffene aber keine Sorgen machen.“

Foto: privat

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