Schon jeder sechste Schüler ist Opfer von Cyber-Mobbing

Cyber-Mobbing trifft oft die Sensiblen oder Schwachen und kann schon bei jungen Menschen zu Angsterkrankungen, Depressionen und sogar Suizidgedanken führen. – Foto: ©Alexander - stock.adobe.com
Bilder, die einen zum Gespött machen; fiese Behauptungen über einen, die frei erfunden oder bösartig konstruiert sind; und man hat keine Chance, sich dagegen zu wehren, weil alles im Schutz der Anonymität im Netz stattfindet: Schon jeder sechste Schüler ist von Cyber-Mobbing betroffen – von verletzenden Angriffen in sozialen Netzwerken, Instant-Messenger-Diensten oder Video-Kanälen. Innerhalb von nur drei Jahren ist die Zahl der davon betroffenen Kinder und Jugendlichen im Alter von 8 bis 21 Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen – von 12,7 Prozent im Jahr 2017 auf 17,3 Prozent im Jahr 2020. In absoluten Zahlen sind das fast zwei Millionen junge Menschen. Immer mehr von ihnen sind von Cyber-Mobbing betroffen – und es geht immer früher los. Das zeigt eine jetzt veröffentliche gemeinsame Studie des „Bündnisses gegen Cybermobbing“ und der Techniker Krankenkasse (TK).
Die meisten Opfer und Täter sind in der Pubertät
Für viele beginnt das Problem bereits in der Grundschule. So ist der Studie zufolge jeder zehnte Grundschüler schon einmal Opfer von Cyber-Mobbing geworden. Die meisten aber trifft es in der Pubertät und damit in einer Phase besonderer Unsicherheit und Verletzlichkeit. In der Gruppe der älteren Schüler zwischen 13 und 17 Jahren hat jeder Vierte das Problem schon am eigenen Leib zu spüren bekommen.
TK-Chef: „Massive Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit“
„Mobbing kann massive Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit haben“, sagt der Vorstandsvorsitzende der TK, Jens Baas. „Dazu gehören zum Beispiel Ängste, Schlafstörungen und Depressionen.“ Gerade Kinder und Jugendliche seien emotional besonders verletzlich. Nicht selten litten die Betroffenen noch jahrelang an den Spätfolgen."
Die Umstellung des Schulbetriebs auf Fernunterricht und Kontaktbeschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie haben nach Einschätzung der Studienmacher die Situation für Jugendliche zusätzlich noch verschärft, weil sie das Internet jetzt noch intensiver nutzen und sich ihre sozialen Kontakte noch mehr dahin verlagert haben. Die Corona-Krise schon für sich hat sich schädlich auf die psychische Gesundheit von Kindern ausgewirkt.
Jedes vierte Mobbing-Opfer wird von Suizidgedanken geplagt
61 Prozent der Opfer fühlen sich der Studie zufolge psychisch verletzt (61 Prozent), etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) reagieren mit Wut. Als „besonders alarmierend“ werten es Bündnis und TK, dass jeder fünfte Betroffene aus Verzweiflung schon mal zu Alkohol oder Tabletten gegriffen (ein Anstieg um 30 Prozent); und dass fast jeder vierte Suizidgedanken geäußert hat (ein Plus von 20 Prozent im Vergleich zu 2017).
Anonymität im Netz: Täter kommen meist ungestraft davon
Ziel der schon 2013 und 2017 durchgeführten Expertise war es gewesen, die aktuellen Veränderungen des Problems Cybermobbing und der Gewalt im Netz zu untersuchen. „Es zeigt sich ganz deutlich, dass heute gezielter und härter gemobbt wird, als noch vor drei Jahren“, sagt Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing. Täter und Opfer müssten wissen, dass Cyber-Mobbing kein Kavaliersdelikt sei. Trotzdem kämen die Täter in den meisten Fällen ungestraft davon: „In vielen Fällen ist vor allem die Anonymität im Netz das Problem."
Wie Schüler Cyber-Mobbing erleben
- Beschimpfung/Beleidigung (72 Prozent)
- Lügen/Gerüchte (58 Prozent)
- Ausgrenzung/ Ablehnung von Kontaktanfragen (41 Prozent)
- Verbreitung peinlicher Fotos und Filme (30 Prozent)
- Erpressung/Bedrohung (30 Prozent)
(Quelle: Studie „Cyberlife III“ Bündnis gegen Cyber-Mobbing/Techniker Krankenkasse 2020)
Stichwort „Cyber-Mobbing“
Der aus dem Englischen stammende Begriff „Cyber-Mobbing“ steht für verschiedene Formen ehrverletzender Angriffe auf natürliche Personen, aber auch Unternehmen und Institutionen mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel. Die Opfer werden durch Bloßstellung, permanente Belästigung (auch sexuelle), durch entwürdigende Fotos oder die Verbreitung falscher Behauptungen gemobbt. Mögliche Kanäle und Mittel sind das Mobiltelefon, soziale Netzwerke (wie Facebook), Instant-Messaging-Dienste (wie WhatsApp) oder Videoportale (wie YouTube).
Außenseiter schikanieren, Imponiergehabe, Konkurrenten ausbremsen
Die Motivlage für Täter kann sehr unterschiedlich sein: Es kann die Lust sein, Außenseiter zu schikanieren, das Bestreben, Konkurrenz kleinzuhalten oder das Bedürfnis, anderen zu imponieren. Unter Umständen werden Mobbingopfer selbst zu Tätern: Wenn sie sich mit gleichen Mitteln wehren oder rächen.
Täter- und Opferpersönlichkeiten: Profile unerwartet ähnlich
Das elektronisch-distanzierte Mobbing stellt eine verschärfte Form des Mobbing dar. Täter können sich hinter einem Pseudonym und der Anonymität des Netzes verstecken. Dies senkt die Hemmschwelle, Dinge zu sagen, für die man bei realen Begegnungen kaum den Mut aufbringen würde. Ein weiterer Unterschied ist der, dass man ein deutlich größeres Publikum erreicht. Täter sind Experten zufolge Jungen und Mädchen zu gleichen Teilen. Die Persönlichkeitsprofile von Tätern und Opfern können sich in einzelnen Punkten dabei überschneiden: Als für beide Seiten charakteristische Züge gelten ein geringes Selbstbewusstsein, hohe Internetnutzung und Depressionen. 40 Prozent der Mobber gaben in einer Studie an, die Geschichte sei doch „nur ein Streich“ gewesen.
Wo sich von Cyber-Mobbing Betroffene Hilfe holen können
Flächendeckende Mobbing-Beratungsstellen oder anonyme Hotlines in Schulen oder im sozialen Umfeld wären als Anlaufstellen für Betroffene ideal – und dringend notwendig. Doch ihre Entwicklung steckt erst in den Anfängen. Unterstützung bei Cyber-Mobbing gibt es aber auf der Website JUUUPORT: Das ist ein Beratungsportal, in dem Jugendliche und junge Erwachsene Alterskollegen vertraulich und kostenlos bei Problemen im Web zur Seite stehen: bei Cybermobbing – aber auch bei Stress in sozialen Medien, Datenklau, Cybergrooming, Sexting, Gaming oder Online-Sucht.
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