Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Projekt SIMCor: Computersimulationen können Tierversuche reduzieren

Montag, 15. März 2021 – Autor:
Tierversuche sind in der Entwicklung von Medizinprodukten gang und gäbe. Im Projekt SIMCor wollen Forscher den Beweis antreten, dass Computersimulationen eine bessere Alternative sind. Das von der EU mit über sieben Millionen Euro geförderte Projekt wird von der Charité koordiniert.
Computermodellierungen sind wirklichkeitsnäher als Tierversuche und können zu besseren Medizinprodukten beitragen. Davon sind Forscher des EU-Projekts SIMCor überzeugt

Computermodellierungen sind wirklichkeitsnäher als Tierversuche und können zu besseren Medizinprodukten beitragen. Davon sind Forscher des EU-Projekts SIMCor überzeugt – Foto: © Adobe Stock/ronstik

Die Entwicklung und Zulassung von kardiovaskulären Implantaten wie Stents, Herzschrittmachern oder Mikropumpen ist ein langwieriger Prozess. Die Produkte müssen unzählige Tests in Maschinen und in Tierversuchen durchlaufen, bevor sie zum ersten Mal in klinischen Studien eingesetzt werden. Doch die Methoden, mit denen geprüft wird, wirken im Computerzeitalter etwas aus der Zeit gefallen.

Im EU-Projekt SIMCor entwickeln Forscher unter Federführung der Charité deshalb sogenannte In-silico-Modellierungen. Teams aus Ärzten, Mathematikern und Informatikern simulieren zum Beispiel das schlagende Herz oder die durchblutete Halsschlagader im Computer und schauen, was passiert, wenn man in die Anatomie eins Kindes oder Erwachsenen ein bestimmtes Implantat einsetzt. Dazu sollen die Simulierungen auf verschiedene krankhaft veränderte Zustände und klinische Merkmale angepasst werden können, so dass eine virtuelle Patientengruppe für prä-klinischen Testungen entsteht.

Kürzere Entwicklungszeit und bessere Implantate anvisiert

Projektleiter Prof. Titus Kühne ist überzeugt, dass man auf diese Weise nicht nur wirklichkeitsnähere Tests ermöglichen kann, sondern im Ergebnis auch zu besseren Medizinprodukten kommt. „Es geht darum, dass kardiovaskuläre Implantate besser und sicherer werden, aber auch darum, die Entwicklung schneller und kostengünstiger zu machen, so dass am Ende ein sozioökonomischer Mehrwert entsteht“, erläutert Professor Kühne die Ziele des Vorhabens. Der Kinderkardiologe leitet das Institut für kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin (ICM) an der Charité und koordiniert das Verbundprojekt, an dem zwölf Partner aus acht Ländern – aus Klinik, Wissenschaft und Industrie – beteiligt sind. Die EU fördert das Projekt mit 7,2 Millionen Euro.

In den kommenden drei Jahren will das internationale Forscherteam nun eine Computerplattform für die Entwicklung, Testung, Validierung und Zulassung von Herz-Kreislauf-Implantaten schaffen, die Forschung und Industrie, aber auch den zuständigen Behörden künftig einmal als Leitfaden dienen soll.

Proof-of-Concept in drei Jahren

Dass Computermodellierungen herkömmliche Prüfmethoden künftig einmal ersetzen können, das wollen die Forscher beispielhaft an zwei Implantaten demonstrieren, die ohnehin gerade von Industriepartnern entwickelt werden: einem Transkatheter-Aortenklappen-Implantat (TAVI) und einem Drucksensor für die Lungenarterien (PAPS). Bei der Entwicklung werden die neuen mit dem alten Methoden verglichen. Kühne hält eine Verbesserung von 20 Prozent für durchaus realistisch.

Gelingt den Forschern der Proof-of-Concept, dann könnten auch jede Menge Tierversuche entfallen, die bislang noch gang und gäbe sind. Dem Projektleiter zufolge liegt das anvisierte Einsparpotenzial bei rund 30 Prozent an, sowohl was die Stichprobengröße als auch die Studiendauer betrifft. Bei einzelnen Fragestellungen sei sogar ein hundertprozentiger Ersatz von Tierversuchen möglich. „Man muss nicht für jedes Experiment einen Tierversuch machen", betont Kühne.  Auch bei klinischen Studien sieht der SIMCor-Projketleiter erhebliche Einsparpotenziale hinsichtlich Anzahl der Probanden und Studiendauer.

Neue Prüfverfahren relevant für den Zulassungsprozess

Schwierig wird es, am Ende die Zulassungsbehörden von den neuen Prüfverfahren zu überzeugen, die ja auch und gerade für die Zulassung neuer Medizinprodukte relevant sind. Behörden wie die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die amerikanische FDA, TÜV, benannte Prüfstellen und ISO-Normgruppen sind nicht gerade als Innovationstreiber bekannt. Doch die SIMCor-Forscher sind nicht die einzigen, die fordern, Computermodellierungen stärker in den Zulassungsprozess zu verankern. Eine ganz Community steht hinter dieser Forderung.

Immerhin hat die EU das Potenzial der digitalen Transformation erkannt und fördert im Rahmen ihres Horizon-Programms innovative Projekt wie SIMCor, die bessere Produkte und schnellere und kostengünstigere Entwicklungsprozesse versprechen.

 

Dass durch in-Silico-Experimente gleichzeitig auch Tierversuche in beträchtlicher Zahl reduziert werden und zum Teil komplett ersetzt werden können, ist ein willkommener Nebeneffekt.

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Medizintechnik

Weitere Nachrichten zum Thema

16.12.2018

Es ist dreidimensional und schlägt wie ein richtiges Herz: Forschern ist es gelungen, aus Hautzellen menschliches Herzmuskelgewebe der Vorhöfe zu züchten. An dem Herzmuskel sollen künftig Medikamente gegen Vorhofflimmern getestet werden.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin