
Die Pflege eines Angehörigen kann mit großen emotionalen Belastungen einhergehen – Foto: ©New Africa - stock.adobe.com
Etwa die Hälfte aller pflegenden Angehörigen hat bereits Gewalt durch den pflegebedürftigen Menschen erlebt. 40 Prozent haben selbst schon Gewalt angewendet. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP), für die deutschlandweit 1.006 pflegende Angehörige im Alter zwischen 40 und 85 Jahren befragt wurden. Fazit der Untersuchung: Pflegende brauchen dringend mehr Unterstützung.
Fast drei Viertel der rund 3 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause versorgt - davon 1,4 Millionen ausschließlich durch Angehörige. Dabei bringen diese meist sehr viel Zeit, Geduld und Kraft auf. Belastungen und Konflikte können zu Gewalt in der Pflege führen.
Niedergeschlagen, verärgert, enttäuscht
Mehr als ein Drittel der Befragten (36 Prozent) fühlt sich häufig niedergeschlagen, 29 Prozent sind häufig verärgert. Zudem hatte über die Hälfte (52 Prozent) in den letzten sechs Monaten teilweise den Eindruck, dass die pflegebedürftige Person ihre Hilfe nicht zu schätzen weiß. 25 Prozent hätten den Pflegebedürftigen bereits vor Wut schütteln können".
Gezielte Unterstützungsangebote sowie Aufklärung über Gewaltprävention seien daher dringend erforderlich, erklärt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP. "Pflege kann auch mit negativen Emotionen einhergehen. Es ist bedeutsam, solche Gefühle zu erkennen und zu lernen, wie man damit umgehen kann. Das ist ein wichtiger Schritt, um gefährlichen Krisen vorzubeugen und die Gesundheit aller Beteiligten zu schützen", so Suhr. Das ZQP engagiert sich schon seit längerer Zeit für dieses Thema und macht auf diese Problematik immer wieder aufmerksam.
Problem Gewalt in der Pflege ernstnehmen
Neben belastenden Gefühlen berichten viele pflegende Angehörige von Gewalt beziehungsweise krankheitsbedingtem gewaltförmigem Verhalten Pflegebedürftiger. 45 Prozent geben an, mit psychischer Gewalt wie Anschreien, Beleidigen oder Einschüchtern konfrontiert worden zu sein. 11 Prozent haben körperliche Übergriffe wie grobes Anfassen, Kratzen, Kneifen oder Schlagen erlebt.
"Gewalt in der Pflege fängt nicht erst beim Schlagen an. Es kommt dabei nicht in erster Linie darauf an, ob etwas aus bösem Willen passiert oder strafrechtlich relevant ist. Vielmehr geht es um die oft gravierenden Folgen. Wer Gewalt in der Pflege verharmlost, verkennt die möglichen Schäden bei Betroffenen und das Risiko einer Eskalationsspirale", erklärt Suhr. Das immer noch stark tabuisierte Problem müsse ernstgenommen werden, um eine wirksame Unterstützung der Pflegenden im Bereich Gewaltprävention zu ermöglichen.
Pflegebedürftige können sich nicht gut wehren
Auch Pflegende können gegenüber einer pflegebedürftigen Person gewaltsam handeln. Insgesamt 40 Prozent der Befragten äußerten, dies innerhalb der letzten sechs Monate mindestens schon einmal absichtlich getan zu haben. Am häufigsten wurden mit 32 Prozent auch hier Formen psychischer Gewalt berichtet. 12 Prozent machten Angaben zu körperlicher Gewalt, 11 Prozent zu Vernachlässigung. Sechs Prozent nannten freiheitsentziehende Maßnahmen.
Gewalt in der Pflege trifft pflegebedürftige Menschen oft besonders hart, denn sie können sich häufig nicht gut wehren, teilweise nicht einmal mehr äußern und sind vom Pflegenden meistens abhängig. Hinweise dazu wie man Wut, Aggressionen oder herausforderndem Verhalten umgehen kann, erhalten pflegende Angehörige bei Pflegeschulungen oder -beratungen, auf die sie kostenlosen Rechtsanspruch haben. Tipps zur Gewaltprävention für Angehörige und Notfall-Kontakte für Krisenfälle bietet auch das ZQP-Portal www.pflege-gewalt.de.
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