Notaufnahme: Ohne Security läuft nichts mehr
Nachts und am Wochenende ist es am schlimmsten. Da geht es in den Notaufnahmen vieler Krankenhäuser zu wie auf dem Rummelplatz. Schmerzen, Ungewissheit und lange Wartezeiten ertragen: Da liegt schnell viel Adrenalin in der Luft. Alkohol, Drogen oder psychische Störungen steigern das Risiko für Enthemmtheit und Übergriffe noch – aber sie sind laut Experten und entgegen landläufiger Meinung nicht das Hauptproblem.
Notaufnahmen: Öffnungszeiten wie Tankstellen
Das Problem sind offenbar die steigenden Patientenzahlen: der Trend zu einer Inanspruchnahme rund um die Uhr geöffneter stationärer Einrichtungen ohne Termin – statt der Besuch beim ambulanten Haus- oder Facharzt mit Termin. Viele Patienten gingen bei akuten Beschwerden oft einfach spontan ins nächste Krankenhaus, beklagen Klinikmitarbeiter und Krankenhausverbände. Von einer „absoluten Überlastung“ der Notaufnahmen als maßgeblicher Ursache für die zunehmende Gewalt spricht Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer.
Dabei zeigt die Erfahrung: Nicht jeder Patient in der Notaufnahme ist auch ein Notfall. Oft sind es sind Leute, die aus Angst vor Arbeitsplatzverlust unter der Woche nicht fehlen wollen. Die frustriert sind, weil sie einen Facharzttermin oft erst Wochen später bekämen. Leute, denen das deutsche Hausarztsystem nicht geläufig ist. Leute, die die Dringlichkeit ihres Problems überschätzen.
Wer zuerst kommt – kommt nicht zwingend zuerst dran
Nach medizinischer Dringlichkeit bestimmen Klinikmitarbeiter aber die Behandlungsreihenfolge. Vielen Patienten jedoch erschließt sich dieses Prinzip nicht. Wartezeiten von bis zu mehreren Stunden und das Erlebnis, dass andere vor ihnen an die Reihe kommen, obwohl sie nach ihnen eingetroffen sind – da ballt sich manchem die Faust in der Tasche. Je weniger krank ein Patient sei, desto aggressiver sei er und desto schneller wolle er behandelt werden, erzählt ein Mitarbeiter der Berliner Charité.
Kratzen, Beißen, Tritte, Schläge – und fliegende Urinbecher
„Beschimpfungen, Drohungen und körperliche Übergriffe gehören bei vielen Mitarbeitern in medizinischen Berufen zum Alltag“, sagt der Berliner Sicherheitsexperte Christian Henke. Krankenhausmitarbeiter berichten davon, dass sie angepöbelt oder bespuckt, gekratzt oder gebissen worden seien oder Kinnhaken verpasst bekommen hätte. Auch ausgerenkte Finger habe es schon gegeben. Und fliegende Urinbecher.
Eine Umfrage unter Mitarbeitern von 250 Notaufnahmen ergab nach einem Bericht des Polit-Magazins „Report München“ folgendes Bild: In jeder zweiten Klinik (49 Prozent) gab es pro Jahr bis zu 20 Fälle von gewalttätigen Übergriffen auf Ärzte, Schwestern oder Pfleger. In jeder vierten Einrichtung (24 Prozent) waren es mehr als 20. Nur 27 Prozent der Notaufnahmen registrierten überhaupt keine Gewalt seitens Patienten oder Angehörigen.
Medizinische Hilfe unter den Augen der Security
Dass Hilfe suchende Patienten ihre Helfer drangsalieren, gilt in Deutschland als vergleichsweise junges Phänomen. Viele Kliniken organisieren deshalb Mitarbeiter-Trainings für einen professionellen Umgang mit aggressiven Patienten, wie sie etwa von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) angeboten werden. Und in immer mehr Kliniken wird es zum Standard, dass sich die medizinische Notversorgung unter den Augen von eigens engagierten Security-Kräften abspielt – insbesondere nachts und am Wochenende.
Schärfere Strafen – aber nicht bei Gewalt im Krankenhaus
Einsatzkräfte wie Feuerwehrleute, Rettungssanitäter und allen voran Polizisten sollen künftig besser vor gewaltsamen Übergriffen geschützt werden. Eine von der Bundesregierung angestoßene Verschärfung des Strafgesetzbuchs sieht bei Übergriffen auf diese Berufsgruppen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Bundesjustizminister Heiko Maas sieht allerdings keine Notwendigkeit, das Personal von Notaufnahmen in das neue Gesetz mit einzubeziehen. Anders als bei Einsatzszenarien auf offener Straße sei das Krankenhaus „ein geschützter Bereich“, in dem „nach unserer Auffassung der Bedarf nicht in der Weise“ existiere.
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