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Neuer Ansatz gegen Nebenwirkungen von Antibiotika

Freitag, 15. Oktober 2021 – Autor:
Antibiotika sind die Standardtherapie bei bakteriellen Infektionen und retten jedes Jahr Millionen von Leben. Aber sie greifen auch die hochkomplexe Darmflora an und damit das Immunsystem. Und: Sie können sogar ihrerseits Krankheiten auslösen. Forscher haben jetzt 1.200 Medikamente daraufhin getestet, ob sie sich hier – parallel verabreicht – als „Gegenmittel“ eignen.
Frau hält Tablette in der Hand - schaut sie skeptisch an.

Viele Patienten stehen Antibiotika kritisch gegenüber – wegen der mit der Einnahme verbundenen Nebenwirkungen. – Foto: AdobeStock/Pixel-Shot

Der menschliche Darm beherbergt das Darmmikrobiom eine komplexe Gemeinschaft verschiedener Arten von Mikroben und Viren. Es ermöglicht uns, Nährstoffe effizienter zu verwerten und hindert krankheitserregende Bakterien daran, sich im Darm anzusiedeln. Haben wir uns eine bakterielle Infektion eingefangen und muss diese mit Antibiotika behandelt werden, besteht jedoch die Gefahr, dass das Darmmikrobiom geschädigt wird.

Nebenwirkungen von Antibiotika: Allergien, Entzündungen, Immunstörungen

So wirksam wie Antibiotika das Wachstum krankheitserregender Bakterien hemmen so sehr können sie aber auch die nützlichen Bakterien im Darm angreifen. Eine Behandlung mit Antibiotika ist meist mit Nebenwirkungen verbunden: mit Magen-Darm-Beschwerden, wiederkehrende Infektionen mit bestimmten Krankenhauskeimen, mit Allergien, Entzündungen sowie Störungen von Stoffwechsel und Immunabwehr.

Systematische Erforschung von 144 Antibiotika

Um dieses oft kaum kalkulierbare Spiel von Nutzen und Schaden zugunsten von Patienten ins Positive zu drehen, haben Forscher aus Zentren der Spitzenforschung in Tübingen, Heidelberg, Berlin und München jetzt eine neue Strategie entwickelt. Hierfür erforschten sie zunächst systematisch 144 Antibiotika darauf, was ihre Gabe mit unseren 27 häufigsten Darmbakterienstämmen macht. „Unser Wissen über die Auswirkungen verschiedener Antibiotika auf einzelne Mitglieder unserer mikrobiellen Gemeinschaften im Darm war bisher lückenhaft“, sagt Nassos Typas,  Gruppenleiter am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. Die Studie trage „erheblich zu unserem Verständnis bei, welche Art von Antibiotika welche Arten von Bakterien auf welche Weise beeinflusst".

Anti-Nebenwirkungs-Strategie: Welche Arzneimittel eignen sich?

Um den starken schädlichen Nebeneffekt einer Antibiotika-Therapie in den Griff zu bekommen, testeten die Wissenschaftler eine bestimmte neue Medikations-Strategie: „Daher haben wir nun untersucht, ob ein zweites Medikament die schädlichen Auswirkungen auf die Darmmikroben verhindern kann, während die Antibiotika gleichzeitig ihre Wirkung gegen Krankheitserreger beibehalten“, erklärt Typas. „Das zusätzliche Medikament könnte als eine Art Gegenmittel eingesetzt werden, das Kollateralschäden von Antibiotika auf Darmbakterien verringert.“

Die Forschenden kombinierten die Antibiotika Erythromycin oder Doxycyclin mit fast 1.200 Arzneimitteln, um Medikamente zu finden, die zwei häufig vorkommende Darmbakterienarten vor dem Antibiotikum schützen, ohne dessen Wirkung zu beeinträchtigen. Tatsächlich fanden sie mehrere nicht-antibiotische Arzneimittel, die diese Darmbakterien und verwandte Arten retten könnten.

Vision: Personalisierte Behandlung, um Darmbakterien zu schützen

Welche Potenziale die Ergebnisse der Studie für die medizinische Behandlung in sich bergen könnte, beschreibt Lisa Maier vom Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) der Universität Tübingen: „Unser Ansatz, Antibiotika mit einem schützenden Gegenmittel zu kombinieren, könnte Möglichkeiten eröffnen, die schädlichen Nebenwirkungen von Antibiotika auf unser Darmmikrobiom zu reduzieren“, hält Maier fest. „Kein einzelnes Gegenmittel wird in der Lage sein, alle Bakterien in unserem Darm zu schützen, vor allem, weil sie sich von Mensch zu Mensch so stark unterscheiden. Aber dieses Konzept öffnet die Tür für die Entwicklung neuer personalisierter Strategien, um Darmbakterien zu schützen.“

An der Studie beteiligte Forschungseinrichtungen:

  • Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) der Universität Tübingen
  • Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg
  • Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin.
Hauptkategorien: Medizin , Gesundheitspolitik
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