Neue Krebsmedikamente oft wirkungslos
Sie sollen das Krebswachstum hemmen, das Immunsystem überlisten und vor allem das Leben von Krebspatienten verlängern: Mit neuen Krebsmedikamenten ist viel Hoffnung verbunden. In Europa wurden in den Jahren 2009 bis 2013 insgesamt 48 solcher Medikamente für 68 Indikationen zugelassen. Sicher scheint nur ihr hoher Preis zu sein. Denn jetzt haben Forscher aus England den Nutzen dieser Medikamente anhand der vorliegenden Studien dazu untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur bei der Hälfte der Zulassungen* wirken die Medikamente nachweislich lebensverlängernd, bei der anderen Hälfte dagegen nicht.
Nur ein Drittel zum Zeitpunkt der Zulassung anderen Medikamenten überlegen
Die Autoren um Courtney Davis berichten im BMJ (früher British Medical Journal), dass zum Zeitpunkt der Markteinführung nur bei 35 Prozent, d.h. 24 der 68 Indikationen eine signifikante Lebensverlängerung gezeigt werden konnte, wobei der Lebenszeitgewinn zwischen einem Monat und 5,8 Monaten betrug. Im Schnitt lebten die Patienten also gerade mal 2,7 Monate länger. Eine Verbesserung der Lebensqualität konnte zu diesem Zeitpunkt lediglich bei zehn Prozent der 68 Zulassungen gezeigt werden.
Was zeigt die Nachbeobachtung? Von den 44 Indikationen, für die anfänglich keine Lebensverlängerung belegt werden konnte, konnte bei drei schließlich einen lebensverlängernde Wirkung nachgewiesen werden und bei fünf eine Verbesserung der Lebensqualität. Die Nachbeobachtung betrug mindestens 3,3 und längstens 8,1 Jahre.
Bei jeder zweiten Indikation kein Nutzen belegt
Unterm Strich konnten die Medikamente bei 51 Prozent der Zulassungen das Leben signifikant verlängern und die Lebensqualität verbessern. Bei 49 Prozent konnten die Studienautoren keinen Beleg für diesen Nutzen finden.
„Unsere systematische Analyse der EMA-Zulassungen aus dem Jahren 2009 bis 2013 zeigt, dass die meisten Krebsmedikamente auf den Markt kommen, ohne dass ihr Nutzen hinsichtlich Lebensverlängerung und Lebensqualitätsverbesserung belegt wäre“, schreiben die Autoren. Selbst nach 3,3 Jahre Nachbeobachtungszeit, habe es immer noch keine ausreichenden Belege gegeben, ob diese Medikamente das Leben von Krebspatienten verlängern oder verbessern könnten.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) muss sich nun die Frage stellen lassen, ob sie Medikamente zu schnell zulässt und die vorgelegten Ergebnisse der Pharmaindustrie nicht genügend nachprüft. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft, Prof. Wolf-Dieter Ludwig sieht jedenfalls Handlungsbedarf. Die EMA und die Politik seien gefragt, die bestehenden Regelungen zu überprüfen, um mehr Klarheit zu schaffen, erklärte Ludwig dem ARD-Magazin Monitor.
*Zulassungen sind an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, etwa Vorbehandlungen, Stadium der Krebserkrankung, Mutationsprofil, pathologische Einteilung usw. Daher ist hier von Indikationen bzw. Zulassungen die Rede. Der Terminus „Krebserkrankung“ wäre zu allgemein.
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