Musik stärkt die Psyche in der Corona-Krise

Augen zu und durch: In der Corona-Krise haben viele Menschen das Musikhören und -machen genutzt oder sogar entdeckt, um sich Entbehrungen, Unglücklichsein und Isolationserfahrungen erträglicher zu machen. – Foto: AdobeStock/Andrs
Nicht nur die Krankheit als solche stresst die Menschen – oder die damit verbundene Angst, sich selbst oder andere anzustecken. Auch die behördlichen Strategien und Maßnahmen zur Eindämmung und Überwindung der Corona-Pandemie bringen Menschen ans Limit: Schüler, Eltern, Heimbewohner, Chorsänger; Saunafreunde oder Massage-Liebhaber; Konzert-, Theater-, Musik-Club oder Kuschelpartybesucher. Je inniger, menschlicher und körperlicher, desto „gefährlicher“. Viele Betätigungen, die das Herz hüpfen lassen, sind einfach weggebrochen – und werden wohl die letzten sein, die wieder „wie früher“ werden stattfinden dürfen.
Welche Strategien nutzen wir bei sozio-emotionaler Belastung?
Ein internationales Wissenschaftsteam unter Beteiligung des „Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik" in Frankfurt hat untersucht, welche Strategien Menschen einsetzen, um sozio-emotionale Belastungssituationen wie Corona-Lockdowns unbeschadeter zu überstehen.
Mit Musik emotionalen und sozialen Stress bewältigen
In sechs Ländern aus drei Kontinenten wurden während des ersten Lockdowns von April bis Mai 2020 demografisch repräsentative Stichproben erhoben: Über 5000 Personen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Italien und den USA beantworteten in einer Online-Studie Fragen zu ihrem Umgang mit Musik während der Krise. Ein zentrales Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, Musik zur Bewältigung emotionaler und sozialer Stressfaktoren zu verwenden.
Mit Musik gegen den Corona-Blues: Unterschiedliche Typen
Die Forscher fanden heraus, dass Menschen je nach Gemütstypen oder Gemütszuständen Musik in verschiedener Weise nutzen – passiv oder aktiv. „Musikhören und Musikmachen bieten unterschiedliche Bewältigungspotentiale“, erklärt Melanie Wald-Fuhrmann, Direktorin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik.
Musik hören gegen Depressionen und Ängste
Studien und Daten der Krankenkassen zeigen es: Die COVID-19-Pandemie hat in der Bevölkerung bereits zu einer Zunahme von depressiven Symptomen geführt. Psychiater befürchten einen weiteren Anstieg in den nächsten ein, zwei Jahren. Der aktuellen Studie zufolge setzen Menschen, bei denen die Pandemie zu solchen negativen Emotionen führt, die Musik in erster Linie zur Regulierung von Depressionen, Angst und Stress ein. Diese Strategie kommt besonders beim Musikhören zum Einsatz.
Musik machen als Mittel gegen soziale Isolation
Menschen mit einer vorwiegend positiven Grundstimmung nutzen Musik vor allem als Ersatz für soziale Interaktionen. Ihnen vermittelt Musik sowohl beim Zuhören, als auch beim Musizieren ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Beim Musizieren kann die Musik darüber hinaus als Mittel zur Selbstreflexion dienen.
Not macht erfinderisch: Das neue Genre der „Coronamusik“
Eine besondere Bedeutung kommt dem neuartigen Genre der „Coronamusik“ zu. Dabei handelt es sich um musikalische Reaktionen auf die Corona-Krise – neu komponierte Stücke, thematische Wiedergabelisten sowie bereits existierende Songs, deren Texte hinsichtlich der Pandemie überarbeitet wurden.
„Studie unterstreicht ‚Systemrelevanz‘ von Musik und Kultur“
„Diese Erkenntnis unterstreicht die Bedeutung kreativer Echtzeitreaktionen in Krisenzeiten", sagt Max-Planck-Forscherin Melanie Wald-Fuhrmann. „Coronamusik bietet die Gelegenheit, kollektiv auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu reagieren und stärkt damit die Widerstandsfähigkeit des Einzelnen und der Gemeinschaft. Dies ist ein wesentlicher Aspekt, auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Debatte über die 'Systemrelevanz' von Musik und Kultur."