MRT-Untersuchung von Schülern: Berufliche Neigungen sind in Gehirnregionen angelegt und ablesbar

„Was? Du willst Kunstgeschichte studieren?“ Eine Studie von Neurowissenschaftlern zeigt: Ein dezidiert geäußerter Berufswunsch ist oft mehr als eine bloße Laune. Die die Auswahl (mit)bestimmenden Hirnregionen seien oft die, die später auch im Beruf gefragt seien. – Foto: AdobeStock/Maridav
Berufliche Neigungen werden meist über psychologische Interessenstests bestimmt. Neuroradiologen der Universität des Saarlandes haben zusammen mit Schülern und Lehrern einer berufsbildenden Schule in Zweibrücken herausgefunden, dass es einen messbaren Zusammenhang zwischen diesen per Test gemessenen beruflichen Neigungen und den dafür benötigten Hirnregionen gibt. „Bei den 104 Probanden konnten wir eine deutliche Korrelation zwischen den Testergebnissen des Situativen Interessenstests und den anatomischen Eigenheiten jedes einzelnen Schülergehirns feststellen“, lautet ein zentrales Ergebnis der Studie, die jetzt im Online-Journal „Frontiers in Education“ veröffentlicht wurde.
„Wir können im MRT sehen, was jemandem liegt“
„Wir können tatsächlich im Magnetresonanztomographen sehen, was jemandem liegt“, erklärt Hirnforscher Christoph Krick von der Klinik für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Homburg. Wenn Schüler den klassischen Psychotest zur Feststellung beruflicher Begabungen absolviert haben, dann lässt sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Interessengruppe offenbar ablesen: Nach Erkenntnissen der Wissenschaftler sind zu berufstypischen Aufgaben passende Gehirnregionen anatomisch stärker ausgeprägt.
Mehr „Graue Substanz“: Anzeichen für Begabungsschwerpunkt
Zur Klärung ihrer Forschungsfrage, die von den untersuchten Schülern selbst aufgeworfen worden war, untersuchten die Wissenschaftler Verteilung und Dichte der sogenannten Grauen und Weißen Substanz im Gehirn mithilfe eines Magnetresonanz-Tomografen (MRT). Dabei zeigte sich: Die Graue Substanz ist die Partie des Gehirns, in der die Rechenoperationen ablaufen; die Weiße Substanz bildet hingegen die „Autobahnen“, über die die Impulse zwischen den einzelnen Hirnarealen hin- und herflitzen.
„Je mehr Graue Substanz und je dichter diese in einem entsprechenden Areal ist, desto stärker ist also eine intellektuelle oder berufliche Neigung, die im Zusammenhang mit diesem bestimmten Hirnareal steht“, sagt Stefan Gurres, Lehrer an der am Forschungsprojekt teilnehmenden Ignaz-Roth-Schule Zweibrücken. Umgekehrt habe sich gezeigt, dass eine höhere Dichte in einer ganz anderen Hirnregion (hier: „Sulcus temporalis superior“) mit einer stärkeren Neigung für soziale Interessen einhergehe. In dieser Hirnregion sitzt auch unsere Fähigkeit, Emotionen in Gesichtern zu erkennen, was für die soziale Interaktion von großer Bedeutung ist.
Wie Psycho-Tests zur Berufswahl funktionieren
Als Tool zur Ergründung und Objektivierung möglicher beruflicher Eignungen existieren etablierte psychologische Tests, in denen durch einfache Fragen das Interessensprofil einer Person erstellt werden kann. Einer dieser Tests ist der Situative Interessenstest (SIT) des österreichischen Psychologen Werner Stangl. Er ordnet die Menschen, die seinen Test durchlaufen haben, sechs groben Bereichen zu:
- realistisch
- intellektuell
- künstlerisch
- sozial
- unternehmerisch
- konventionell.
Je nachdem, welche Bereiche dominieren, neigt ein Test-Teilnehmer etwa dazu, lieber Lehrer, Bildhauer oder Krankenpfleger zu werden – statt Papas Ingenieurbüro zu übernehmen. Alle Schüler, die an dem Forschungsprojekt teilnahmen, hatten vor der MRT-Untersuchung auch den beschriebenen Interessenstest nach Werner Stangl absolviert.
„Ich steck dich in die Röhre, und sag dir, was du machen sollst“
Trotz dieser klaren Ergebnisse warnt Lehrer Stefan Gurres davor, die Prüfung mithilfe von Medizintechnik zu überzubewerten oder zu überhöhen, gemäß dem Motto: „Ich steck dich in die Röhre, und dann sag ich dir, was du machen sollst“. Die MRT-Bilder seinen Momentaufnahmen, Interessenslagen von Menschen könnten sich jederzeit wieder verändern. Zudem wisse man ja nicht, was zuerst dagewesen sei: Die Henne oder das Ei. Oder in diesem Fall: eine bestimmte Neigung oder die ausgeprägte Hirnregion, die wichtig ist, um diese Neigung erfolgreich umzusetzen und zum Beispiel ein guter Musiker zu werden. „Wenn man viel übt“, sagt Neurowissenschaftler Christoph Krick, „verändern sich Hirnregionen ja ebenfalls.“