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Medikamente: Kann individuelle Verblisterung bei der Einnahme helfen?

Sonntag, 26. Mai 2019 – Autor: anvo
Das Einordnen von Medikamenten je nach den individuellen Bedürfnissen von pflegebedürftigen Patienten kostet regelmäßig viel Zeit. Nun wurde geprüft, ob eine maschinelle individuelle Verblisterung zu einer Zeit- und Kostenersparnis führen kann. Die Ergebnisse der Untersuchung waren jedoch nicht eindeutig.
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Eine individuelle Verblisterung von Medikamenten könnte im Pflegealltag zur Zeitersparnis führen

Arzneimittel in Tablettenform werden in der Regel vom Hersteller in Blisterverpackungen ausgeliefert. In Einrichtungen wie beispielsweise Pflegeheimen muss das Pflegepersonal dann viel Zeit dafür aufwenden, die Medikamente aus den handelsüblichen Verpackungen zu lösen und sie den Patienten für ihren individuellen Gebrauch zur Verfügung zu stellen. Doch das geht auch anderes. So verpacken bei der individuellen Verblisterung Apotheken oder andere Dienstleister die verordneten Medikamente eines Patienten bereits den individuellen Bedürfnissen entsprechend nach Wochentagen und Tageszeiten zusammen. So sehen Pflegepersonal und Patienten auf einen Blick, wann welche Tabletten – gemäß der Einnahmeverordnung des Arztes – einzunehmen sind. Das wiederum soll dazu beitragen, dass mehr Arbeitskapazitäten der Pflegekräfte den Patienten zur Verfügung stehen.

Aktueller Bericht des IQWiG

Beim individuellen maschinellen Verblistern wird Medikamenten-Dosis einzeln in einer verschlossenen Tüte verpackt. Auf den Blistern sind Datum, Einnahmezeit und gegebenenfalls weiteren Infos zur Einnahme notiert. Jede Blisterrolle wird dann in einer praktischen Blisterbox ausgeliefert.

Seit einigen Jahren wird in Deutschland kontrovers diskutiert, ob eine vermehrte Verblisterung für Pflegeheimbewohner tatsächlich geeignet ist, das Pflegepersonal zu entlasten und die Versorgung der Heimbewohner nachhaltig zu verbessern. Um das herauszufinden, hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, die Studienlage dazu zu prüfen. Der Bericht liegt nun vor.

Zu wenig Studien zur PIV

Den Recherchen des IQWiG zufolge wurde die patientenindividuelle Verblisterung (PIV) auch international bislang überwiegend für den ambulanten Bereich erforscht. Was die Verblisterung für Pflegeheime angeht, gibt es hingegen kaum belastbare Daten aus Studien. Auch die gängigen Argumente, die verschiedene Akteure und Interessengruppen jeweils für oder gegen eine vermehrte PIV in Pflegeheimen ins Feld führen, sind demnach nicht wissenschaftlich belegbar. Nutzen und Schaden einer PIV im Pflegeheim bleiben bisher unklar, so das IQWiG.

Nach Ansicht ihrer Befürworter spricht für die PIV, dass dadurch seltener Medikationsfehler auftreten. Denn je mehr Erkrankungen ein Heimbewohner hat, desto komplexer ist die Arzneimitteltherapie. Wenn Pflegekräfte bei der Organisation der Medikamentengabe entlastet würden, hätten sie mehr Zeit für die Zuwendung gegenüber dem einzelnen Patienten. Und das könnte wiederum die Arbeitszufriedenheit in der Pflege erhöhen und den Beruf attraktiver für den Nachwuchs machen.

Auch Wirtschaftlichkeitsaspekt bleibt unklar

Kritiker befürchten indes einen Kompetenzverlust, wenn zunehmend Aufgaben von Pflegefachpersonen auf andere Berufsgruppen verlagert werden. Möglicherweise verlören Patientinnen und Patienten zudem einen Teil ihrer Autonomie, weil sie noch weniger erkennen und entscheiden könnten, welche Arzneimittel sie einnehmen und welche nicht. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass nicht alle Arzneimittel „blisterbar“ sind. Dies könnte die Medikamentengabe für die Pflegekräfte in den Heimen eher noch verkomplizieren, weil sie neben den Tabletten in den Blistern an eine zweite Medikamentenverteilung denken müssten.

Natürlich verursacht die maschinelle patientenindividuelle Verblisterung zunächst zusätzliche Kosten. Doch diese sollen zumindest teilweise dadurch kompensiert werden, dass der „Verwurf“ schrumpft. Doch auch der Aspekt der Wirtschaftlichkeit konnte dem IQWiG zufolge nicht eindeutig belegt werden.

Folgen von Verblisterung näher erforschen

Insgesamt sieht das Institut für das Thema PIV in Pflegeheimen noch eine hohen Forschungsbedarf. „Die Diskrepanz zwischen der breiten und teils vehement geführten Debatte um die PIV einerseits und der schlechten Datenlage andererseits hat uns doch überrascht“, kommentiert Thomas Kaiser, Leiter des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. „Mit großer Verve argumentieren einzelne Akteure und Interessenvertreter für oder gegen die Verblisterung, ohne ihr Pro oder Kontra wissenschaftlich unterfüttern zu können“, so Kaiser. „Es ist gut, dass ein Auftrag des Gesundheitsministeriums dies nun offengelegt hat.“

Das IQWiG hat nun ein Konzept für eine künftige Studie entwickelt und in den Bericht integriert. „Unsere Recherche hat nämlich gezeigt, dass es zu anderen Fragestellungen durchaus hochwertige Studien in der stationären Pflege gibt und sie offenkundig machbar sind“, bekräftigt Kaiser.

Foto: © Artinun - Fotolia.com

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