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Lungenarzt: „Zwei von zehn COVID-19-Patienten biegen falsch ab”

Dienstag, 28. April 2020 – Autor:
Die Behandlung von COVID-19 stellt die Medizin vor riesige Herausforderungen. Der Lungenarzt und Infektiologe Prof. Dr. Norbert Suttorp von der Charité erklärt, was COVID-19 von anderen Lungenentzündungen unterscheidet und welche Therapieansätze Hoffnung machen. Eine Zusammenfassung unseres Podcasts.
Prof. Norbert Suttorp von der Charité ist überzeugt, dass ein Impfstoff gegen COVID-19 gefunden wird. Hoffnung machen seiner Ansicht nach auch neue Medikamente

Prof. Norbert Suttorp von der Charité ist überzeugt, dass ein Impfstoff gegen COVID-19 gefunden wird. Hoffnung machen seiner Ansicht nach auch neue Medikamente

Seit nunmehr vier Monaten hält das Coronavirus SARS-COV-2 die Welt in Atem. Bis dato wurden weltweit über drei Millionen Infektionen nachgewiesen, mehr als 200.000 Menschen sind an COVID-19 gestorben.

Nach und nach lernen Ärzte mehr über die Erkrankung, die bei jedem fünften Patienten einen schwerwiegenden Verlauf nimmt und in Deutschland bei etwa 0,5 Prozent zum Tod führt. „Zwei von zehn Patienten biegen falsch ab“, sagt der Lungenarzt und Infektiologe Prof. Dr. Norbert Suttorp von der Charité. Warum dies ungefähr zwischen Tag 6 und Tag 8 passiert, wird derzeit intensiv untersucht. Auffällig ist, dass sich zu diesem Zeitpunkt erste Antikörper gebildet haben. „Möglicherweise machen die Antikörper etwas falsch, und stoßen andere Entzündungssysteme im Körper an, so dass die Krankheit eine ganz andere Richtung nimmt“, beschreibt Suttorp eine mögliche Theorie.

Beatmet und tief sediert

Klinisch äußert sich dieser Richtungswechsel in einer instabilen Lunge mit stetig kollabierenden Lungenbläschen. Und weil jeder Hustenstoß weiteren Schaden anrichten könnte, müssen die Patienten während der künstlichen Beatmung tief sediert werden. Dabei ist es wichtig, die Patienten alle acht bis zehn Stunden umzulagern - vom Bauch auf den Rücken und umgekehrt. „Es ist schwere körperliche Arbeit, diese Patienten auf den Intensivstationen zu versorgen“, betont der Professor für Lungeninfektionen.  

Nicht nur die Lunge, auch das Herz kann betroffen sein

Inzwischen weiß man, dass COVID-19 mehr als eine atypische Lungenentzündung ist. So zeigten bereits Daten aus China, dass es bei Patienten vermehrt zu Herzinfarkten und Herzmuskelentzündungen kommt, obwohl das Virus bislang nicht im Blut und auch nicht im Herzen nachgewiesen wurde.

Ein weiteres Phänomen, das möglicherweise auch die die Auswirkungen aufs Herz und andere Organe erklären könnte, sind starke Veränderungen der Blutgerinnung. So haben schwer erkrankte COVID-19 Patienten aus einem bisher nicht erklärbaren Grund eine massive Aktivierung der Blutgerinnung, und es kommt vermehrt zu Thrombosen und Lungenembolien. „Das kennt man in dieser Ausprägung so nicht von anderen Lungenentzündungen“, betont Infektiologe Suttorp. Mediziner spekulieren darum, dass das Coronavirus auch die innere Auskleidung von kleinen Gefäßen befällt, die sogenannten Endothelzellen und es dadurch zu einer systemischen Entzündung im Körper kommt.

Gefäße werden durchlässiger

Gesichert ist indes, dass die Gefäße in der Lunge durchlässiger werden. Das können Ärzte auf Röntgenbildern bzw. im CT erkennen: Statt Luft (schwarz) befindet sich in den Lungen Flüssigkeit und Plasma (weiß), was extrem schlecht für den Gasaustausch ist. Neuere Therapieansätze konzentrieren sich darauf, die Durchlässigkeit der Gefäße zu korrigieren. Hätte man so ein Medikament, wäre bei der Behandlung schwerkranker COVID-19-Patienten schon viel gewonnen, meint der Lungenexperte. „Da gibt es durchaus Hoffnungsträger, die so weit vorbereitet sind, dass man sie zum Patienten bringen kann.“

Viel versprechende Therapieansätze

Suttorp hält diesen Ansatz für weitaus vielversprechender als etwas das 50 Jahre alte Malariamittel Chloroquin, mit dem sich die Charité gar nicht erst befassen will, „weil es zu wenig PS auf die Straße bringt.“ An einer Studie zum Ebolamedikament Remdesivir beteiligt sich die Charité sowie an etlichen weiteren Studien. Schon Ende Januar wurde an der Berliner Universitätsmedizin ein Studien-Board eingerichtet, wo auch eigene Ideen für Studien gesammelt werden. Hoffnungsträger sollen hier untersucht werden, darunter solche, die die Entzündungskaskaden des überschießenden Immunsystems stoppen.

Ein weiterer Forschungsansatz sind sogenannte Hyperimmunseren oder Antikörperkonzentrate, die entweder aus dem Blutplasma, aus Plasma separierten Antikörpern oder den Immunzellen von Genesenen gewonnen werden.

Hyperiummseren für Prophylaxe und Therapie

Den zellbasierten Ansatz hält Suttorp für den pfiffigsten: Man nimmt Immunzellen von Patienten, die COVID-19 überlebt haben, isoliert und expandiert daraus die Antikörper und stellt daraus wiederum einen sogenannten monoklonalen Antikörper her. Diese Antikörpertherapie ist in der Entwicklung schon weit fortgeschritten und scheint nach ersten Erkenntnissen wirksam zu sein. Doch wie bei allen Medikamenten müssen Mediziner die Nebenwirkungen im Blick behalten. Die Gefahr könnte in diesem Fall sein, dass es zu einer Antikörper- vermittelten Reaktion kommt, dass es Komplement-aktivierend wirkt. „Diese Sicherheitsaspekte muss man mitdenken“, sagt Prof. Suttorp.

Solche Hyperimmunseren könnten sowohl zur Therapie von Erkrankten als auch zur Prophylaxe eingesetzt werden, etwa in einem Hot-Spot-Gebiet. Die Überlegungen gehen hier in verschiedene Richtungen.

Antikörper bedeuten Immunität

Befürchtungen, dass sich Patienten zweimal mit dem Coronavirus anstecken könnten, hält Experte Suttorp für unbegründet. Fälle aus Südostasien, wo dies angeblich der Fall gewesen sein soll, erklärt er mit schwankenden Testergebnissen – erst positiv, dann negativ, dann wieder positiv,

Tatsächlich kann das Virus mitunter noch bis zu 55 Tage lang im PCR-Test nachgewiesen werden, aber nur deshalb, weil der Test auch kleinste Virusmengen unter dem Schwellenwert 100.000 aufspüren kann. Es handelt sich dann aber um keine lebenden Viren mehr, und die Patienten sind nicht mehr infektiös. Nach einhelliger Expertenmeinung sind die Patienten aber sehr wohl immun gegen COVID-19. „Wer nach durchgemachter COVID-19-Erkrankung Antikörper hat, ist auch immun – davon geht man aus, und das hat noch keiner in Frage gestellt“, erklärt dazu Suttorp.

Und wie schätzt der Experte die Suche nach einem Impfstoff ein? Derzeit gibt es ja Stimmen, die vor allzu großer Euphorie warnen und sagen, dass es möglicherweise nie eine Impfung gegen COVID-19 geben wird. Zwar nennt auch Suttorp Malaria und Tuberkulose als Negativbeispiele, wo es trotz jahrzehntelanger Forschung noch keine Impfung gibt. Bei COVID-19 sind seiner Einschätzung nach die biologischen Hürden aber nicht so groß. „Dass Vakzine das Problem lösen werden - diese Wahrscheinlichkeit ist hoch“, sagt Norbert Suttorp, „aber sicher nicht in 2020!“

Hauptkategorien: Medizin , Corona
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23.04.2020

Über die Gefährlichkeit von Lungenentzündungen bei Covid-19, die Entwicklung innovativer Therapieansätze und Impfstoffe sowie die denkbare Behandlung mit Antikörperkonzentraten hat Gesundheitsstadt Berlin mit Prof. Dr. Norbert Suttorp gesprochen. Er ist Direktor der Medizinischen Klinik mit dem Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité in Berlin.

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