Kindheitstraumen irritieren Stoffwechsel noch im Erwachsenenalter

Belastende Erfahrungen aus der Kindheit können sich nicht nur psychisch, sondern auch körperlich eingravieren. – Foto: ©kishivan - stock.adobe.com
Die Mitochondrien sind die Energiefabriken unserer Körperzellen. Wissenschaftler der Universität Ulm haben jetzt untersucht, wie sich belastende Kindheitserfahrungen auf den mitochondrialen Energiestoffwechsel der Immunzellen von Müttern auswirken. Außerdem wollten sie wissen, ob es auf dieser biologischer Ebene zu intergenerationalen Übertragungseffekten von Kindheitsbelastungen kommt, sprich: Ob sich solche Veränderungen auch in den Mitochondrien der Kinder von Müttern mit Kindheitstraumen finden lassen und damit möglicherweise weitergegeben werden.
Traurige Kindheit prägt Psyche – aber auch Körperzellen
Die Studie hat zwei Kernaussagen – eine bedauerliche und eine ermutigende: Bei Müttern mit prägenden negativen Kindheitserlebnissen kommt es in der Tat zu einer Veränderung im Organismus. „Wir haben festgestellt, dass in den Immunzellen von Müttern, die angaben, in ihrer Kindheit missbraucht, misshandelt oder vernachlässigt worden zu sein, nicht nur die Aktivität der Mitochondrien, sondern auch deren intrazelluläre Dichte höher war als bei der Vergleichsgruppe ohne Kindheitsbelastungen“, heißt es in einer Erklärung des Ulmer Forscherteams. Die positive Nachricht: „Die biologischen Veränderungen in der zellulären Energieproduktion ließen sich zwar für Mütter mit Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen nachweisen, aber nicht für deren Kinder“, sagt Studienkoordinatorin Iris-Tatjana Kolassa. Die Professorin leitet an der Universität Ulm die Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie.
„Neugeborene nicht durch die Belastungen der Mutter beeinflusst“
Da im Zuge der Eizellbefruchtung die Mitochondrien überwiegend von der Mutter weitervererbt werden, hatten die Ulmer Wissenschaftler zunächst die Hypothese aufgestellt, dass sich die Veränderung im mitochondrialen Energiestoffwechsel von Müttern auch in Immunzellen der Neugeborenen nachweisen lassen. Doch diese Erwartung bestätigte sich in der Stichprobe mit vorwiegend moderat belasteten Frauen nicht:
„In dieser Hinsicht waren die Ergebnisse beruhigend", sagt Studienkoordinator und Stressforscher Alexander Karabatsiakis. „Die Resultate sprechen dafür, dass die Mitochondrien der Neugeborenen nicht durch die Belastungen der Mutter beeinflusst werden. Möglicherweise greifen hier biologische Resilienzfaktoren, die sich protektiv auf die Mitochondrien in den Immunzellen der Kinder auszuwirken.“ Karabatsioakis‘ aktuelle Spezialgebiete sind die Felder biomolekulare Psychotraumatologie und Stressforschung, also etwa die Frage, wie seelische Verletzungen sich körperlich niederschlagen können – in kleinststofflichen Körperfunktionen.
Immunzellen bei 102 Mutter-Kind-Paaren untersucht
In der Ulmer Studie wurden insgesamt 102 Mutter-Kind-Paare untersucht. Analysiert wurden Immunzellen aus dem Blut der Wöchnerinnen sowie Immunzellen der neugeborenen Kinder aus dem Blut der Nabelschnur. Die belastenden Kindheitserfahrungen der Mutter wurden mit dem Fragebogen „Childhood Trauma Questionnaire“ (CTQ) erfasst.
Folgen von Kindheiterlebnissen auf die Beziehung zum eigenen Kind?
Eingebettet ist die Mitochondrien-Studie in das Verbundprojekt „Meine Kindheit – Deine Kindheit“, das nach generationenübergreifenden Risiko- und Resilienzfaktoren sucht und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde. Bei dem Verbundprojekt geht es darum, zu untersuchen welchen Einfluss mütterliche Kindheitserfahrungen auf die Beziehung zum eigenen Kind und dessen Entwicklung haben. Im Fokus stehen dabei nicht zuletzt die biologischen Mechanismen, über die Missbrauchs-, Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen an die nächste Generation weitergegeben werden.
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