Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Heinsberg-Studie zeigt überraschende Ergebnisse: Ansteckungsrisiko im Haushalt mit 15 Prozent sehr gering

Mittwoch, 6. Mai 2020 – Autor:
Bonner Forscher um den Virologen Prof. Hendrik Streeck haben nun die vollständigen Ergebnisse der Heinsberg-Studie veröffentlicht. Überraschend ist die Infektionssterblichkeit von fast 0,4 Prozent und die geringe Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt zu infizieren.
Heinsberg-Studie zeigt: Dort wo Viele Menschen auf engem Raum sind, breitet sich das Coroanvirus rasend schnell aus. In Haushalten ist das Ansteckungsrisiko deutlich geringer

Heinsberg-Studie zeigt: Dort wo Viele Menschen auf engem Raum sind, breitet sich das Coroanvirus rasend schnell aus. In Haushalten ist das Ansteckungsrisiko deutlich geringer

Mit Spannung wurden die vollständigen Ergebnisse der Heinsberg-Studie erwartet. Seit Montag liegen sie nun vor, die Daten zum Infektionsgeschehen im Landkreis Heinsberg in Nordrhein Westfalen, wo es nach einer Karnevalssitzung zu einem massiven Corona-Ausbruch gekommen war.

Im Rahmen der Studie hatte ein Forschungsteam um Prof. Dr. Hendrik Streeck und Prof. Dr. Gunther Hartmann von der Universität Bonn in der Ortschaft Gangelt 919 Einwohner aus 405 Haushalten befragt, Proben genommen und analysiert.

Hochgerechnet haben sich demnach 15 Prozent der Gangelter mit dem Coronavirus infiziert. Dieses Ergebnis war schon im Zwischenbericht bekannt geworden, ist aber nicht auf Deutschland übertragbar, da Gangelt eine regelrechte Corona-Hochburg war.

Die Auswertung bringt außerdem neue Erkenntnisse zur Infektionssterblichkeit, zur Dunkelziffer sowie zur Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt mit dem Coronavirus zu infizieren.

Sterblichkeit gering oder hoch?

In der Studie wurde eine Infektionssterblichkeit (IFR) von 0,37 Prozent gezeigt. Die IFR gibt den Anteil der Todesfälle unter allen Infizierten an, also auch jene positiv getesteten mit eingerechnet, die gar keine Symptome hatten. In der Heinsberg Studie lag der Anteil der asymptomatisch Infizierten immerhin bei 22 Prozent. Die IFR muss von der Fallsterblichkeit (CFR) unterschieden werden, die die Sterblichkeit unter den Erkrankten beziffert. Die Studienautoren werten eine IFR von 0,37 Prozent als „erfreulich niedrig.“

Anders der Virologe und Epidemiologe Prof. Alexander Kekulé. Zur IFR von fast 0,4 Prozent sagte er im MDR Podcast am Montag: „Das ist relativ hoch.“ Die Zahl liege fast in dem Bereich, wo bisher die fallbezogene Sterblichkeit gesehen worden sei. „Ich hoffe, dass es an der Stichprobe liegt.“

Dunkelziffer mit Faktor 10

Ausgehend von der Infektionssterblichkeit hat das Bonner Team die Dunkelziffer für Deutschland berechnet. Die Hochrechnung geht so: Wenn 0,37 Prozent aller Infizierten sterben – bedeuten die 6.700 Verstorbenen etwa 1,8 Millionen Infizierte im gesamten Land. Damit wäre die Dunkelziffer um den Faktor 10 größer als die Gesamtzahl der offiziell gemeldeten Fälle, schlussfolgern die Autoren.

Alexander Kekulé zweifelt indes an der Interpretation der Ergebnisse und meint, man könne anhand der Studie nicht die Dunkelziffer für Deutschland hochrechnen. „Das ist ein Ort, der massiv und explosionsartig getroffen wurde, dort gibt es viel mehr Infizierte als im Durchschnitt der Bevölkerung.“

22 Prozent asymptomatische Verläufe

Durch die Heinsberg Studie konnte erstmals gezeigt werden, dass eine COVID-19 Erkrankung mit einem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns einhergehen kann. Dieser Fund hatte weltweit Beachtung gefunden. Weiter konnten die Forscher beobachten, dass 22 Prozent der Infizierten keinerlei Symptome hatten. Dies bestätige die Wichtigkeit der allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Pandemie“, sagt Studienautor Prof. Martin Exner, Leiter des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit. „Jeder vermeintlich Gesunde, der uns begegnet, kann unwissentlich das Virus tragen. Das müssen wir uns bewusst machen und uns auch so verhalten.“

Auffällig ist, dass Personen häufiger Symptome hatten, die an der Karnevalssitzung teilgenommen haben. Das lässt neue Schlussfolgerungen auf die Ansteckungswege zu. Viele Menschen auf engem Raum, das ist laut den Studienautoren ein Brandbeschleuniger für die Übertragung des Coronavirus.

Überraschend geringe Ansteckungsrate im Haushalt

Dagegen war die Ansteckungsrate in den untersuchten Mehrpersonen-Haushalten überraschend gering. Die Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt zu infizieren, lag nur bei 15 Prozent. Das bedeutet, dass anders als bisher angenommen ein Infizierter nicht zwangsläufig den Rest der Familie ansteckt. Zwei Studien aus Asien kamen zu etwa den gleichen Ergebnissen.

Virologe Kekulé spekuliert, dass es unterschiedliche Übertragungsereignisse geben muss. Möglicherweise entstünden beim Singen oder Schreien Aerosole in der Luft, die das tiefe Einatmen des Virus begünstigten. „Es sieht so aus, dass selbst im gleichen Haushalt diese Art von Kontakten nicht stattfinden“, kommentierte er das überraschende Ergebnis.

Wenig überraschend und für viele gestresste Eltern enttäuschend ist, dass die Infektionsraten bei Kindern, Erwachsenen und Älteren sehr ähnlich sind. „Sie hängen offenbar auch nicht vom Alter ab“, sagt Studienleiter Prof. Streeck. Es gebe auch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Foto: © Adobe Stock/Wolfilser

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Coronavirus , Infektionskrankheiten

Weitere Nachrichten zum Thema Coronavirus

Die Corona-Welle in Deutschland begann in einer kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Weil das Infektionsgeschehen dort massiv war und der Zeit voraus ist, haben Bonner Wissenschaftler die Bevölkerung dort repräsentativ getestet. Wichtiges Zwischenergebnis: 15 Prozent haben oder hatten das Coronavirus in sich – dreimal so viele, wie bei den bisherigen Tests ermittelt.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Noch müssen Ärzte in Deutschland keine Triagierung von COVID-19-Patienten vornehmen. Doch was wenn, die Intensivkapazitäten auch hier zu Lande nicht reichen? Gesundheitsstadt Berlin hat über das bedrückende Thema mit Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen gesprochen. Die Charité-Medizinerin befasst sich als Mitglied des Deutschen Ethikrats und einer soeben eingerichteten Task Force des Berliner Senats intensiv mit dem Worst-Case-Szenario „Triagierung“.
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Kliniken
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin