Getöteter Mund-Kieferchirurg war auf Krebs spezialisiert
Was bringt einen Rentner aus Spandau dazu seinen Arzt zu erschießen? War es Rache oder Frust über seine schwer heilbare Erkrankung? Einen Tag nach den tödlichen Schüssen in der Klinik für Mund-Kiefer-und Gesichtschirurgie am Charité Campus Benjamin Franklin sind noch viele Fragen offen. Da sich der Mann nach der Tat selbst erschoss, wird man die Antwort vielleicht nie finden.
Fest steht, dass der 72-Jährige seit Jahren bei dem Oberarzt in Behandlung war – wegen einer schweren Erkrankung, wie es heißt. Der Arzt hatte ihn sogar persönlich operiert. Vermutlich litt der Patient an einem Tumor im Mund und Rachenraum, denn darauf war der 55-jährige Mund-Kieferchirurg spezialisiert.
Patient kam zur Nachsorge – wie immer
Über das Arzt-Patientenverhältnis konnte die Charité am Dienstagabend bei einer spontanen Pressekonferenz noch keine Auskunft geben. Noch waren die Ereignisse zu frisch. Die Schüsse waren ja erst am Mittag gegen 13 Uhr gefallen.
Genau wie die Polizei schloss der Ärztliche Direktor der Charité Prof. Ulrich Frei einen Terrorakt aus. Ob Rache wegen Unzufriedenheit mit der Behandlung im Spiel war, dazu konnte Frei keine Angaben machen. Wahrscheinlicher sei, dass der Patient ob seiner schweren Erkrankung verzweifelt gewesen sei, meinte er.
Der getötete Oberarzt war Familienvater und hinterlässt eine Frau und zwei minderjährige Kinder. Er hatte an der Charité Humanmedizin und Zahnmedizin studiert und seinen Facharzt für Mund-Kiefer-und Gesichtschirurgie gemacht. Zwei Doktortitel hatte er in der Tasche. 22 Jahre hat er für das Universitätsklinikum gearbeitet und es bis zum Oberarzt gebracht. Ulrich Frei beschrieb ihn als besonders liebenswürdigen Menschen, der von allen Kollegen hoch geschätzt worden sei. „Diese grauenhafte Gewalttat macht uns alle fassungslos“, sagte der Charité-Vorstand am Dienstag.
Was macht eigentlich ein Mund-Kiefer-und Gesichtschirurg?
Mund-Kiefer-und Gesichtschirurgen wie der jetzt getötete Oberarzt behandeln unter anderem Krebserkrankungen. Sie operieren Tumore im Mund, am Zungenboden, im Kiefer, an den Speicheldrüsen und im Rachen. Da hierbei kosmetische Aspekte eine besonders große Rolle spielen, müssen sie chirurgisch sehr versiert sein, etwa Gesichtshälften oder Kiefer rekonstruieren.
An der Charité sind die Chirurgen in das Zentrum für Kopf-Hals-Tumore eingebunden und Ansprechpartner für die gesamte Behandlung: Je nach Krankheitsstadium kommen eine adjuvante Chemotherapie, Bestrahlung oder beides zusammen hinzu. Im Rahmen von klinischen Studien stehen inzwischen auch neue Medikamente zur Verfügung. Die Behandlung bedarf in der Regel einer engmaschigen Kontrolle und Nachsorge. Das Klinikum bietet daher ambulante Sprechstunden an.
Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren im Mund und Rachen haben oft nur geringe Heilungschancen: In sehr späten Stadien mit Metastasen sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit von etwa 50 Prozent auf unter 20 Prozent.
Wie krank der Todesschütze tatsächlich war, wollte die Charité nicht bekanntgeben: Es gelte auch in diesen Fällen die Schweigepflicht, hieß es von Seiten des Vorstands.
Notoperation nicht überlebt
Der Tathergang hatte sich folgendermaßen abgespielt: Der Patient hatte bereits am Montag versucht, den Arzt zu erreichen, traf ihn aber nicht an. Am Dienstag tauchte er dann gegen 13 Uhr wieder in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie auf. Beim Betreten des Behandlungsraums zog er sofort eine Pistole und feuerte mehrere Schüsse auf den Kieferchirurgen ab. Im Raum war noch eine weitere Ärztin. Anschließend tötete er sich selbst mit seiner Waffe. Sein Opfer konnte sich noch in einen angrenzenden Büroraum schleppen, wo er dann zusammenbrach. Die anschließende Notoperation konnte den schwerverletzten Arzt nicht retten. Nach vergeblichen Wiederbelebungsmaßnahmen verstarb er noch im OP.
Um die traumatisierten Kollegen, die ihn retten wollten, kümmern sich seit gestern Psychologen. Viele waren am Dienstag so geschockt, dass sie nicht weiter arbeiten konnten. Die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Charité Klinikum in Steglitz bleibt noch den ganzen Mittwoch für Neuaufnahmen geschlossen. Notfälle und ambulante Patienten werden an das Virchow Klinikum im Wedding verwiesen.
Foto: Charité