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"Die frühe Nutzenbewertung ist grundsätzlich sinnvoll"

Dienstag, 21. August 2012 – Autor: Anne Volkmann
Der Medizinrechtler und Allgemeinarzt Prof. Dr. Dr. Christian Dierks über das Arzneimittelneuordnungsgesetz, Internetwerbung und die Aufgaben eines Fachanwalts für Medizinrecht.
Prof. Dr. Dr. C. Dierks

Prof. Dr. Dr. C. Dierks – Foto: ©2009 hedrich.mattescheck GBR - alle Rechte vorbehalten.

Herr Professor Dierks, am 1. Januar 2011 ist das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) in Kraft getreten. Seit Anfang dieses Jahres müssen die Arzneimittelhersteller nun mit den Krankenkassen über den Preis ihrer Medikamente verhandeln. Viele Pharmafirmen halten die Voraussetzungen jedoch für unangemessen. Wie bewerten Sie die neue Situation?

Dierks: Ich halte die frühe Nutzenbewertung grundsätzlich für sinnvoll. Das Ziel des AMNOG ist es ja, die steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen einzudämmen. Die Arzneimittelhersteller müssen nun für ihre neu auf den Markt gekommenen Medikamente einen Zusatznutzen nachweisen, der künftig den Preis bestimmt. Ob die Bedingungen, die das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG, zuständig für die Nutzenbewertung neuer Medikamente, Anm. d. Red.) hier vorgibt, immer angemessen sind und ob die Daten richtig interpretiert werden, ist eine andere Frage. Hier gibt es natürlich verschiedene Ansichten, je nach Blickwinkel. Als Rechtsanwalt muss man ja zunächst die Interessen des Mandanten vertreten, aber auch zwischen den verschiedenen Interessen vermitteln. Ohne gegenseitiges Nachgeben funktioniert es nicht. Aber natürlich müssen die Krankenkassen erst mal kritisch und kostenbewusst in die Verhandlungen gehen, und die Hersteller müssen dem mit möglichst hohem Selbstbewusstsein gegenübertreten.

Wie bewerten Sie den Erfolg der frühen Nutzenbewertung bisher?

Dierks: Von den 27 begonnenen Nutzenbewertungsverfahren wurden bisher 16 beendet. Nur wenige Medikamente, wie z.B. das Medikament Ticagrelor von AstraZeneca, haben das Verfahren bisher erfolgreich durchlaufen. Das zeigt, dass es noch Schwierigkeiten gibt, aber auch, dass die AMNOG-Regelungen prinzipiell funktionieren können, wenn beide Seiten Augenmass beweisen. Ich halte es grundsätzlich für gut, wenn ein Arzneimittelhersteller mit einem neuen Produkt möglichst schnell auf den Markt geht und dann die frühe Nutzenbewertung greift.

Was sind Ihre Aufgaben bei diesen Verfahren?

Dierks: Wir unterstützen die Arzneimittelhersteller bei der Erstellung der Dossiers, in denen sie für ihr Medikament einen Zusatznutzen gegenüber einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss gewählten und bereits auf dem Markt befindlichen Therapie vorweisen müssen. Zudem beraten wir bei der Frage, ob man überhaupt mit einem bestimmten Medikament auf den Markt gehen sollte. Wir begleiten die Stellungnahmeverfahren und die Vertragsverhandlungen.

Wer sind neben Arzneimittelherstellern Ihre anderen Mandanten?

Dierks: Wir haben uns in unserer Kanzlei auf das Thema Gesundheit spezialisiert, das heisst wir beraten vorwiegend Leistungserbringer im Gesundheitswesen, also Ärzte, Krankenhäuser, Arzneimittel- und Medizinproduktehersteller, Apotheken, Psychotherapeuten und andere. Das ist in Deutschland relativ einzigartig. Wir sind zumindest in dieser Grösse einer der wenigen Kanzleien, die sich nur mit dem Thema Gesundheitsrecht beschäftigen.

Ist es denn sinnvoll, sich so stark zu spezialisieren?

Dierks: Auf jeden Fall. Das Medizinrecht ist mittlerweile ein so grosses Gebiet, dass es ein Anwalt, der sich nicht darauf spezialisiert hat, kaum noch durchschauen kann. Und dabei geht es nicht nur um die deutschen Gesetze. Da sich viele der Themen, mit denen wir uns beschäftigen, wie zum Beispiel das Arzneimittelrecht, auch über die nationalen Grenzen hinaus erstrecken, arbeiten wir auch mit Anwaltssozietäten im Ausland zusammen. Wir haben unsere Kanzlei im Jahr 1997 gegründet und sind mittlerweile 27 Anwälte, die alle auch innerhalb des Medizinrechts noch einmal unterschiedliche Spezialisierungen aufweisen. So beschäftige ich mich hauptsächlich mit dem Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, mit Fragen der Telemedizin und des Datenschutzes. Ein sehr komplexes Thema ist auch die Arzneimittelwerbung im Internet. Hier gibt es gerade in den letzten Jahren ständige Veränderungen.

Welche Probleme gibt es bei der Arzneimittelwerbung im Internet?

Dierks: Durch den beständigen Wandel der technischen Möglichkeiten entstehen auch immer neue Formen der Werbung. Mit diesem Wandel kommt das Heilmittelwerberecht, das unter anderem die Werbung für Arzneimittel reguliert, kaum noch mit. So war die Frage, welche technischen Lösungen für die Verknüpfung von Werbetext und Pflichtangaben rechtlich zulässig sind, also ob beispielweise ein Link zur Pflichtangabe ausreicht, in der Rechtsprechung und der Literatur nicht hinreichend geklärt. Hier kommt man nicht ohne Interpretationshilfen aus, die wir in Zusammenarbeit mit den Verbänden entwickelt haben.

In diesem Jahr gab es den grossen Skandal um minderwertige Brustimplantate. Danach wurde eine Studie veröffentlicht, die auf ein eventuell erhöhtes Krebsrisiko durch Metallprothesen hinwies. Braucht das Medizinprodukterecht neue Gesetze?

Dierks: Eigentlich ist die gesetzliche Lage klar geregelt, die Gesetze müssen nur auch angewendet werden. Aber natürlich gibt es immer auch Verbesserungsmöglichkeiten im Regelwerk. Wir sind mit unserer Kanzlei dem Arbeitskreis Endoprothetik angeschlossen und begleiten dort auch innovative Konzepte im Bereich der Qualitätssicherung. Nun gibt es zum Beispiel in der GKV die Forderung, auch für implantierbare Prothesen Nutzenanalysen einzuführen. Es stellt sich dann nur die Frage, welche Arten von Studien hier überhaupt machbar sind. Das System darf keine Analysen fordern, die unter Umständen so gar nicht möglich sind. Hier muss man noch vermitteln.

Welchen Grundsatz vertreten Sie bei Ihrer Tätigkeit?

Dierks: Wir verstehen uns in erster Linie als Berater. Es geht uns erst einmal darum, gemeinsam mit dem Mandanten zu klären, was er überhaupt erreichen will - das ist oft schon der wichtigste Schritt. Danach können wir dem Mandanten sagen, was machbar ist. Wir arbeiten lösungsorientiert, das heisst wir zählen nicht auf, welche Probleme es geben könnte, sondern was wir erreichen können. Und wir verstehen uns stets als Vermittler, die zwischen verschiedenen Interessen einen Ausgleich suchen.

Prof. Dr. med. Dr. iur. Christian Dierks ist auf dem Gebiet des Medizinrechts einer der führenden Experten in Deutschland. Er ist Fachanwalt für Medizin- und Sozialrecht und einer der Gründungspartner von DIERKS + BOHLE Rechtsanwälte. Auf seinem Gebiet verfügt er über eine besondere Expertise, da er auch Facharzt für Allgemeinmedizin ist. Er hat einen Lehrauftrag für Medizinrecht und Gesundheitssystemforschung an der Charité und ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht.

Hauptkategorie: Gesundheitspolitik

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