"Die Biologika stellen einen erheblichen Fortschritt dar"

Professor Gerd Burmester
Professor Burmester, was ist der Vorteil der Biologika bei der Behandlung der Rheumatoiden Arthritis?
Burmester: Der Vorteil der Biologika ist, dass sie in der Regel ganz zielgerichtet ein bestimmtes Molekül neutralisieren und nicht, wie dies die chemischen Medikamente zum Teil tun, ungezielt in zelluläre Vorgänge eingreifen. So setzen wir bei der Behandlung der Rheumatoiden Arthritis beispielsweise einen monoklonalen Antikörper ein, der sich gegen den Tumornekrosefaktor-α (TNF-Alpha) richtet und eben nur dagegen und gegen nichts anderes.
Warum erhalten dann nicht alle Patienten mit Rheumatoider Arthritis eine Behandlung mit Biologika?
Burmester: In erster Linie wegen der Kosten, da diese aufgrund der langen Entwicklungszeit sehr hoch liegen. Daher setzt man in der Regel zunächst die Basistherapeutika ein und greift erst zu Biologika, wenn die Basismedikamente nicht mehr ausreichend wirken. Dies ist bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten der Fall, die unbehandelt schwere Schäden davontragen würden. Bei diesen Patienten beobachten wir, dass die Biologika die Gelenkschäden komplett aufhalten können, und bei rechtzeitiger Behandlung treten dauerhafte Gelenkschäden gar nicht erst auf, was natürlich einen gewaltigen Fortschritt darstellt. Wir können durch diese zielgerichtete Therapie heute bei über 50 Prozent der Patienten bei früher Erkennung und Therapie eine weitgehende Remission bewirken.
Wenn die Biologika aber so gut wirken, wäre es dann nicht sinnvoller, sie sofort einzusetzen?
Burmester: Diese Frage kann man natürlich stellen. Dem stehen aber zum einen die hohen Kosten entgegen, und die Basistherapeutika zeigen in vielen Fällen ja auch eine gute Wirkung. Zudem kann man schon nach einigen wenigen Monaten Behandlung mit einem Basistherapeutikum erkennen, ob die Therapie erfolgreich ist oder nicht. Wenn man dann schnell auf Biologika umstellt, ist die Gefahr, dass schon große Gelenkschäden entstanden sind, nicht sehr groß. Wir haben allerdings hier in Berlin auch eine Studie durchgeführt, in der wir untersucht haben, ob ein ganz früher Einsatz der Biologika einen signifikanten Vorteil bietet.
Welche Ergebnisse haben sich gezeigt?
Burmester: Wir haben festgestellt, dass der Unterschied nach einem Jahr in einigen Bereichen nicht allzu groß ist. Bei der Kontrollgruppe, die konventionell therapiert wurde, waren nach einem Jahr ähnliche Ergebnisse in der Symptomatik zu sehen wie bei der Biologika-Gruppe. Man musste in der Kontrollgruppe allerdings länger warten, bis die Therapie griff, und auf den Röntgenbildern waren auch mehr Veränderungen festzustellen als bei den Patienten, die sofort mit Biologika behandelt wurden. Wir haben daraus den Schluss gezogen, dass in jedem Fall eine ganz frühzeitige Basistherapie wichtig ist. Es sollte dann nach wenigen Monaten geprüft werden, ob die Therapie greift und gegebenenfalls auf Biologika umgestellt werden. Und es gibt natürlich auch Patienten, bei denen die Erkrankung schon von Beginn an so dramatisch verläuft, dass ein Ersteinsatz mit Biologika durchaus sinnvoll sein kann. Das sind aber eher Ausnahmefälle.
Welche Nebenwirkungen können bei einer Behandlung mit Biologika auftreten?
Burmester: Die wichtigste Nebenwirkung ist ein vermehrtes Auftreten von Infektionen wie beispielsweise Hautinfektionen, Harnwegsinfektionen oder Lungenentzündungen. Zudem muss man vor Therapiebeginn eine latente Tuberkulose ausschließen.
Das sind nicht unbedingt harmlose Nebenwirkungen.
Burmester: Ja, das stimmt. Gefährdet sind allerdings in erster Linie Patienten über 65 Jahre sowie Menschen, die täglich mindestens zehn Milligramm Kortison einnehmen, aber auch Patienten mit Lungen- oder Nierenerkrankungen. Bei den anderen Patienten ist die Behandlung mit Biologika im Vergleich zu ihren positiven Wirkungen weitgehend sicher. Bei ihnen ist die Häufigkeit des Auftretens von Infektionen häufig kaum erhöht.
Sind die Biologika auch schon bei Kindern einsetzbar?
Burmester: Ja, sogar sehr erfolgreich. Gerade die Kinder mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen haben früher sehr viel Kortison bekommen, was ja schon bei Erwachsenen zu erheblichen Nebenwirkungen führen kann. Aber bei Kindern kann das Kortison zu Wachstumsstörungen führen, und hier sind wir natürlich sehr froh über die neuen Therapiemöglichkeiten.
Warum gibt es trotz des Vorhandenseins guter Medikamente immer noch viele Rheuma-Patienten, denen es sehr schlecht geht?
Burmester: Das hängt natürlich zum einen von der Diagnose ab. Rheuma ist nicht gleich Rheuma, und wir sprechen hier ja nur von der Rheumatoiden Arthritis, die tatsächlich schon sehr gut behandelbar ist. Es gibt aber immer noch rheumatische Erkrankungen, für die es gar keine oder kaum wirksame Medikamente gibt. So sind die Behandlungsmöglichkeiten bei der Arthrose mit Ausnahme des Gelenkersatzes sehr eingeschränkt, und auch bei der systemischen Sklerose haben wir sehr beschränkte Therapiemöglichkeiten. Und auch bei der Rheumatoiden Arthritis können wir leider immer noch nicht allen Patienten ausreichend helfen, denn ein bestimmter Prozentsatz der Patienten spricht auf gar keine Medikamente an, und einige erhalten einfach zu spät die Therapie – obwohl sich eine Behandlung, wie ich betonen möchte, auch dann noch lohnt. Es ist aber auf jeden Fall noch viel Forschung nötig, um wirklich allen Patienten helfen zu können.
Professor Dr. Gerd Burmester ist Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Interview: Anne Volkmann