„Der Klimawandel führt bereits jetzt zu gesundheitlichen Auswirkungen”

Dr. Martina Wenker
Frau Dr. Wenker, Ärzte machen inzwischen verstärkt und lautstark auf die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam. Man hat aber den Eindruck, dass erst die Fridays for Future Bewegung die Ärzteschaft wachgerüttelt hat.
Wenker: Das stimmt nicht ganz. Bereits vor zehn Jahren fand ein Forum „Gesundheit und Umwelt“ der Bundesärztekammer gemeinsam mit der Ärztekammer Niedersachsen in Hannover statt. Da ging es schon sehr konkret um die Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel, um den Ausbau von Hitze-, Pollen-, Ozon- und UV-Warnsystemen und um die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Deswegen finde ich nicht, dass wir das Thema verschlafen haben.
Möglicherweise haben sich Medien und Öffentlichkeit damals noch nicht so recht dafür interessiert?
Wenker: In der Tat ist das Thema gesamtgesellschaftlich erst so richtig durch die vermehrt anhaltenden Proteste in den Mittelpunkt gerückt – auch durch die Fridays for Future-Bewegung. Mit eine Rolle spielt sicherlich auch, dass wir in Deutschland erst in den letzten paar Jahren merklich von extremen Wetterereignissen getroffen wurden. Vor allem die anhaltenden Hitze- und regelrechten Dürreperioden von diesem und letztem Jahr haben in Politik und Öffentlichkeit vermehrt zur Auseinandersetzung geführt.
Das dürfte Frühwarnern wie Ihnen in die Hände spielen.
Wenker: Wir Ärzte haben die Aufgabe, uns um die Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung zu kümmern sowie an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen mit Blick auf die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. Der Klimawandel führt bereits jetzt zu gesundheitlichen Auswirkungen. Betroffen sind hier vor allem die vulnerablen Bevölkerungsgruppen wie Schwangere, Kinder und Senioren sowie Patienten mit Bluthochdruck sowie chronischen Herz- und Atemwegserkrankungen. Damit werden wir uns beschäftigen müssen.
Etliche Ärztevereinigungen haben das jetzt ja auch angekündigt. Was ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel geplant?
Wenker: Ein zentrales Anliegen ist es, die Zusammenhänge von extremen Wetterbedingungen und gesundheitlichen Folgen zu erforschen und darüber aufzuklären. Beispielsweise über Wundheilungsstörungen und vermehrte Nebenwirkungen von Medikamenten bei Hitzeperioden sowie verstärkte Beschwerden bei Asthma und Bronchitis durch Luftschadstoffe. Auch der Deutsche Ärztetag wird sich im kommenden Jahr schwerpunktmäßig mit dem Klimawandel als eine der zentralen Gesundheitsfragen des 21. Jahrhunderts befassen und effektive Klimaschutzmaßnahmen fordern, da diese mit erheblichen Vorteilen für die Gesundheit der Menschen einhergehen.
Extrem heiße Sommer, langanhaltende Dürreperioden – was macht das heute schon mit unserer Gesundheit?
Wenker: An sehr heißen Tagen – wie wir sie in den letzten zwei Sommerperioden häufiger hatten – sind bereits jetzt deutlich mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verzeichnen – auch in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Mehrere Studien haben außerdem gezeigt, dass sich bei höheren Lufttemperaturen die Sterberate von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Des Weiteren hat die Anzahl von Allergien – insbesondere allergischer Atemwegserkrankungen – stark zugenommen.
Woran liegt das?
Wenker: Dies liegt an einer stärkeren Belastung durch Pollen und Staubpartikel in der Luft, die durch weniger kalte Winter und lange Trockenperioden hervorgerufen wird. Zudem wird mit einer veränderten Ausbreitung und Zunahme von Infektionskrankheiten zu rechnen sein, wie zum Beispiel FSME, Malaria, West-Nilfieber oder Denguefieber.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht im deutschen Gesundheitswesen ändern, um dem Klimawandel gerecht zu werden?
Wenker: Das Gesundheitssystem muss sich auf erheblich vermehrten Versorgungsbedarf von Risikogruppen – wie Senioren, Schwangere, Kleinstkinder und Menschen mit chronischen Erkrankungen – einstellen. Wesentlich ist auch, dass nach dem Aufbau eines ersten Lehrstuhls für Klimawandel und Gesundheit an der Charité jetzt weitere Lehrstühle folgen müssen. Grundsätzlich müssen die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels in die Aus-, Weiter- und Fortbildung aller Gesundheitsfachberufe finden. Allerdings geht die Problematik weit über das das Gesundheitssystem hinaus, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels zu begrenzen.
An welche Aufgaben denken Sie dabei?
Wenker: Die Luft kann nur besser werden, wenn die Politik darauf hinarbeitet, dass Grenzwerte nicht überschritten werden. Der Arbeitsalltag muss an extreme Hitzeperioden angepasst werden – man könnte sich zum Beispiel an südeuropäischen Ländern orientieren, in denen während der heißen Mittagszeit Geschäfte und Büros geschlossen sind. Außerdem benötigen wir benötigen umfassende Hitze-, Pollen-, Ozon- und UV-Warnsysteme.
Trotz dieser Maßnahmen, vorausgesetzt sie werden überhaupt umgesetzt, werden Menschen an heißen Tagen zusammenklappen und es wird Hitzetote geben. Was kann denn die einzelne Arztpraxis oder das Krankenhaus tun, wenn es draußen 37 Grad im Schatten hat?
Wenker: Krankenhäuser könnten zum Beispiel Patientenzimmer dahingehend aufrüsten, dass eine Klimatisierung – sei es aktiv oder passiv – möglich ist. Planbare operative Eingriffe sollten möglichst nicht in den heißen Sommermonaten erfolgen. Ganz wichtig ist eine intensivierte Betreuung von alten, kranken und pflegebedürftigen Patienten sowohl in der häuslichen Umgebung als auch in Alten- und Pflegeheimen. Hier müssen umfassende Versorgungsstrukturen geschaffen und finanziert werden.
All die genannten Aufgaben müssen wir jetzt anpacken, und zwar alle gemeinsam. Denn Gesundheit geht nun einmal jeden von uns an.