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Charité Studie: Mehr Pandemie-Tote in Norditalien als gemeldet

Freitag, 15. Mai 2020 – Autor:
Allein im März gab es in einem norditalienischen Ort mehr Tote als im gesamten vergangenen Jahr. Nur rund die Hälfte der jetzt Verstorbenen war jedoch als COVID-19-Todesfall gemeldet. Wissenschaftler der Charité haben diese Diskrepanz aufgedeckt und schließen daraus, dass die Pandemie weit mehr Menschenleben fordert als offiziell bekannt.
Studie der Charité: In Norditalien gab es mehr Todesfälle als es die offiziellen COVID-19-Sterbezahlen hergeben

Studie der Charité: In Norditalien gab es mehr Todesfälle als es die offiziellen COVID-19-Sterbezahlen hergeben

Im norditalienischen Ort Nembro (Provinz Bergamo) starben im Frühjahr doppelt so viele Menschen wie bekanntermaßen im Zusammenhang mit der COVID19-Pandemie verstorben waren. Das heißt nur jeder zweite Verstorbene war positiv auf das Coronavirus getestet worden. Dabei waren in dem 11.500 Einwohner-Städtchen allein im März mehr Menschen gestorben als im gesamten vergangenen Jahr und elf Mal so viele wie im März des Vorjahres. Das fanden Wissenschaftler der Charité in einer Studie heraus, deren Ergebnisse nun im Fachmagazin "The BMJ" veröffentlicht wurden.

Pandemie lässt sich nicht an COVID-19-Sterbezahlen beziffern

„Die Studie unterstreicht, dass die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie deutlich über die offiziellen COVID-19-Sterbezahlen hinausgehen können“, sagt Studienleiter Prof. Tobias Kurth, Direktor des Instituts für Public Health (IPH) der Charité.

Für die Untersuchung der Gesamtsterblichkeit nutzten die Forscher Daten aus dem Zeitraum zwischen Anfang 2012 und Mitte April 2020, die aus mehreren Quellen stammten: dem Italienischen Statistikamt (ISTAT), dem Einwohnermeldeamt von Nembro sowie dem COVID-19-Dashboard der Lombardei.

In einem Monat elf Mal so viele Tote wie üblich

Die Daten zeigten: Üblicherweise sterben in Nembro jedes Jahr etwas mehr als 100 Menschen. Beispielsweise gab es in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt jeweils 128 bzw. 121 Todesfälle. Dagegen starben in den dreieinhalb Monaten zwischen dem 1. Januar 2020 und 11. April 2020 in Nembro 194 Personen. Allein im März starben 151 Menschen – das sind elfmal so viele wie im März des Vorjahres.

„Diese sehr massive Erhöhung der Sterberate im März 2020 können wir vor dem Hintergrund der sonst sehr stabilen Gesamtsterblichkeit in Nembro nur als Folge der Coronavirus-Pandemie werten“, sagt Marco Piccininni, Wissenschaftler am IPH und Erstautor der Studie.

Während der Infektionswelle - Ende Februar bis Anfang April - waren in Nembro 166 Menschen gestorben, aber nur 85 positiv auf das Coronavirus getestet und offiziell als COVID-19-Todesfälle gemeldet worden. „Das ist eine enorme Diskrepanz, die zeigt: Die Folgen der Pandemie für die Gesundheit der Bevölkerung in Nembro waren deutlich gravierender, als die gemeldeten COVID-19-Sterbefälle andeuten“, erklärt Piccininni.

Zusammenbruch des Gesundheitssystems

Wie erklärt sich diese Diskrepanz? Die Wissenschaftler vermuten zum einen, dass nicht alle Coronavirus-Infizierten identifiziert wurden – etwa weil das Testmaterial knapp war und nicht alle Verdachtsfälle labordiagnostisch getestet wurden. Ein zweiter Grund könnte darin liegen, dass Menschen mit anderen Erkrankungen schlechteren Zugang zur Krankenversorgung hatten: entweder weil die Kapazität des Gesundheitssystems schon durch COVID-19-Fälle ausgeschöpft war oder weil sie aus Sorge vor einer Infektion das Krankenhaus nicht aufsuchen wollten.

„Für eine präzise Abschätzung der gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie dürfen wir also nicht ausschließlich auf die bestätigten COVID-19-Sterbezahlen schauen“, betont Prof. Kurth. „Um vor Ort die geltenden Eindämmungsmaßnahmen besser an die Situation anpassen zu können, sollten zusätzlich aktuelle Daten zur regionalen Gesamtsterblichkeit berücksichtigt werden.“

Quelle: Piccininni M, Rohmann JL et al., Use of all cause mortality to quantify the consequences of covid-19 in Nembro, Lombardy: descriptive study. BMJ 2020;369:m1835. doi: 10.1136/bmj.m1835

Foto: © Adobe Stock/cameris

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Corona
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