Bundesregierung stellt Heilpraktiker-Beruf infrage
Heilpraktiker sind keine Ärzte und damit auch keine Schulmediziner. Genau das macht sie umstritten – aber das macht sie auch beliebt. Viele chronisch Kranke machen die Erfahrung, dass ihnen die Schulmedizin nicht oder nur bedingt helfen kann. Oder sie erleben sich im Praxis- oder Klinikbetrieb mit seinem Produktivitäts- und Zeitdruck als bloße „Nummer". Ein Arzt hat statistisch acht Minuten Zeit für das Erstgespräch – der Heilpraktiker eine ganze Stunde. Patienten, die zum Heilpraktiker gehen, wünschen sich eine ganzheitliche Herangehensweise an ihre Krankheit unter Einbeziehung von Körper, Geist, Seele, Biographie und Lebenssituation. Oder Methoden aus Naturheilkunde oder Komplementärmedizin. Mit der Zahl der kritischen Patienten nimmt die Zahl der Heilpraktiker deswegen seit Jahren zu. Doch die Bundesregierung denkt jetzt laut darüber nach, den Beruf deutlich stärker zu reglementieren – oder auf Dauer sogar ganz abzuschaffen.
Heilpraktiker abschaffen? Rechtsgutachten soll es klären, ob das geht
„Das Bundesgesundheitsministerium erwägt nach Informationen des ARD-Magazins 'Panorama' (NDR) und des Onlinemagazins 'MedWatch' einschneidende Veränderungen beim Berufsstand der Heilpraktiker – inklusive einer möglichen Abschaffung der Profession“, heißt es in einer Mitteilung des Norddeutschen Rundfunks. Ende Oktober habe das Ministerium eine Ausschreibung für ein Rechtsgutachten veröffentlicht, das mögliche Optionen ausloten soll.
Die Ausschreibung für das Rechtsgutachten thematisiert, ob sich eine mögliche, zukünftige Heilpraktiker-Ausbildung in Hinsicht auf Dauer und Inhalt an der Medizinerausbildung orientieren müsste. Sie wirft weiter die Frage auf, ob und inwieweit es möglich wäre, Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker von der Behandlung weiterer Erkrankungen auszuschließen. Auch soll das Rechtsgutachten die Frage klären, ob der Beruf ganz abgeschafft werden kann. „Gibt es alternativ zu einer Regelung die grundsätzliche Möglichkeit, den Heilpraktiker-Beruf in Zukunft entfallen zu lassen?", heißt es in der Ausschreibung wörtlich.
„Immer wieder Fälle, bei denen Menschen Schaden genommen haben“
Immer wieder werden Fälle bekannt, bei denen Menschen durch die Therapie eines Heilpraktikers Schaden genommen haben, wie auch eine Recherche von „Panorama" und „MedWatch" gezeigt hat. Dennoch können Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker oft weiterarbeiten, sie werden kaum kontrolliert. Experten fordern schon länger eine Reform des Heilpraktikerberufs.
Die Bundesregierung reagierte bislang nur zögerlich: Der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ließ einzig die Heilpraktikerprüfung in Deutschland vereinheitlichen. Auf Initiative seines Nachfolgers Jens Spahn (CDU) benötigen Heilpraktiker zur Herstellung rezeptpflichtiger Arzneimittel nun eine Erlaubnis. Vielen Kritikern geht das nicht weit genug: Sie fordern die Abschaffung des Berufsstands, wie zuletzt etwa Patrick Larscheid, Leiter des Gesundheitsamts Berlin-Reinickendorf.
Heilpraktiker: Zulassung ohne Prüfung medizinischer Kompetenz
Der Heilpraktiker-Beruf ist seit über 80 Jahren ein fester Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems. Ein eigenes „Heilpraktikergesetz“ gibt es in Deutschland seit 1939. „Eine Ausbildung oder staatliche Prüfung, die klassischerweise die Qualifikation von Heilberufen kennzeichnen, ist darin nicht geregelt", bemängelt jetzt das Bundesgesundheitsministerium. Wer in Deutschland als Heilpraktiker tätig sein will, braucht dafür zwar eine staatliche Erlaubnis. Ein Bewerber müsse vor dem Gesundheitsamt oder der nach Landesrecht zuständigen Stelle nachweisen, dass von ihm keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung oder für die sie aufsuchenden Patienten ausgeht, heißt es in der aktuellen Mitteilung des NDR. Eine staatliche Prüfung über medizinische Fachkenntnisse erfolgt nicht.
Heilpraktiker mit Vollzulassung dürfen laut dem „Bund Deutscher Heilpraktiker" (BDH) körperliche und seelische Leiden feststellen und als nicht-ärztliche Therapeuten auch eigenständig behandeln. Darin unterscheiden sie sich beispielsweise von Physiotherapeuten oder Logopäden, die nur auf ärztliche Anweisung hin tätig werden dürfen. Sie wenden für Diagnose und Therapie häufig Methoden der Naturheilkunde oder der Alternativmedizin an. „Während die meisten schulmedizinischen Medikamente auf die Behandlung der Symptome setzen, stärken Heilpraktiker also vor allem die natürlichen Abwehr- und Selbstheilungskräfte des menschlichen Körpers mit Verfahren der Naturheilkunde und suchen verstärkt nach den Ursachen der Erkrankung“, heißt es beim BDH.
Jeder darf, was er beherrscht
Das Behandlungsspektrum von Heilpraktikern ist gegenüber dem von Ärzten stark eingeschränkt. So dürfen sie etwa verschreibungspflichtige Medikamente und Betäubungsmittel nicht verordnen. Generell kann jeder Heilpraktiker diejenigen Verfahren ausüben, die er beherrscht (Therapiefreiheit). Dies können sowohl schulmedizinische als auch naturheilkundliche oder sogenannte ganzheitliche Verfahren sein. Häufig führen Heilpraktiker mit Vollzulassung Zusatzbezeichnungen (Beispiele: Homöopathie, Ausleitende Verfahren, Osteopathie).
Heilpraktiker in Deutschland: 80 Prozent Frauen
Derzeit praktizieren in Deutschland laut BDH rund 47.000 Heilpraktiker in Voll- oder Teilzeitpraxen. Die Zahl der Heilpraktiker hat in den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen. So stieg sie beispielsweise in Bayern von rund 11.000 im Jahr 2003 auf über 23.000 im Jahr 2015 an. Gut 80 Prozent der Heilpraktiker sind Frauen, knapp 20 Prozent sind Männer.
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