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Bei Lebensmittelunverträglichkeiten liegen Deutsche vorn

Dienstag, 9. Juli 2019 – Autor:
Mehr als die Hälfte der Deutschen meint, an einer Lebensmittelunverträglichkeit zu leiden. Das erläuterte ein Experte auf dem 9. Allergo Update in Berlin. Mit Nahrungsmittelallergien befasst sich jetzt eine neue Forschergruppe der Charité.
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Wer an Zöliakie leidet, verträgt nur glutenfreie Produkte - wie dieses Brot. Doch oft ist die Nahrungsmittelunverträglichkeit gar nicht ärztlich diagnostiziert – Foto: ©Jiri Hera - stock.adobe.com

Mehr als die Hälfte der Deutschen (60 Prozent) meint, an einer Lebensmittelunverträglichkeit zu leiden. Sie liegen damit europaweit vorn. Das erläuterte der Berliner Allergologe Prof. Jörg Kleine-Tebbe auf dem 9. Allergo Update. Die Fachzeitschrift HNO Nachrichten berichtete über das Fach-Treffen.

Die Unverträglichkeiten beziehen sich dabei auf Laktose, Fruktose, Histamin oder Gluten. Im Schnitt hätten 14  Prozent der europäischen Bevölkerung das Gefühl, ein oder mehrere Nahrungsmittel nicht zu vertragen, zitiert der Artikel den Mediziner. Ärztlich bestätigen lasse sich dies aber bei gerade einmal 1 Prozent.

Betroffene diagnostizieren sich oft selbst

Häufig stammten die Intoleranzdiagnosen nicht von Ärzten. Oft diagnostizieren sich die Betroffenen selbst, auch mit Hilfe des Internets. Eine der häufigsten Intoleranzdiagnosen seien Kohlehydrat-Malassimilationen (KMAS), also Laktose- und Fruktoseunverträglichkeiten. Diese gelten in den meisten Fällen als klinisch unbedenklich, ebenso wie die Laktoseintoleranz.

In dem Fall gehe es vor allem darum, die Patienten zu "entängstigen", betonte Kleine-Tebbe, und über eine laktosearme Ernährungsweise aufzuklären. Gänzlich auf Milchprodukte zu verzichten, sei nicht ratsam, da diese wichtige Quellen für Kalzium und Vitamin D sind.

Fruktoseschwall überfordert den Dünndarm

Hoch gefährlich dagegen sei die hereditäre Fruktoseintoleranz (HFI). Sie ist mit 1:10.000 bis 1:100.000 betroffenen Kindern pro Jahr zwar sehr selten, aber lebensbedrohlich. Wird sie nicht direkt nach der Geburt diagnostiziert, verläuft sie in den meisten Fällen tödlich.

Sehr viel häufiger als eine HFI sei die Fruktose-Malabsorption. Entweder werden bereits kleine Fruchtzuckermengen unter 25 g nicht vertragen, oder aber ein Fruktoseüberhang bei Mengen über 25 g. Das "Kilo Kirschen auf einen Streich" mache dann Probleme, weil die Transitzeit im Dünndarm zu kurz sei, um einen derartigen Fruktoseschwall aufzunehmen.

Bei Lebensmittelunverträglichkeiten liegen Deutsche vorn

Auch hier stehe an oberster Stelle, den Patienten die Angst zu nehmen und sie aufzuklären, heißt es weiter in dem Artikel. "Wenn ein Smoothie ausschließlich aus Obst besteht, muss man sich nicht wundern, wenn man bei diesen Mengen Beschwerden bekommt." Besser: Das Obst mit Eiweiß und Fett aufnehmen, denn dadurch werde die Transitzeit verlängert und die Fruktose kann ins Blut aufgenommen werden.

Dass die Deutschen bei Lebensmittelunverträglichkeiten vorn liegen, heißt nicht, dass jeder Betroffene behandelt werden muss. Die Verordnung einer Ernährungsberatung und -therapie sei abhängig vom Leidensdruck. Kleine-Tebbe empfiehlt dafür das Netzwerk allergologisch zertifizierter Ernährungsfachkräfte, die über die Homepage des Deutschen Allergie- und Asthmabundes (DAAB) oder beim Arbeitskreis Diätetik in der Allergologie (www.ak-dida.de) zu finden sind.

Pollenallergiker wiederum leiden oft an einer so genannten Kreuzallergie gegen bestimmte Obst- und Gemüsesorten, weil die Pflanzen-Allergene einander ähneln. So können Sellerie, Tomaten, Erdbeeren oder bestimmte Apfel-Sorten zu allergischen Reaktionen der Mundschleimhaut führen. 

Charité erforscht Nahrungsmittelallergien

Mit Nahrungsmittelallergien beschäftigt sich nun eine neugegründete, interdisziplinäre Forschungsgruppe an der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Die Intoleranzen haben in den vergangenen 20 Jahren zugenommen. Die Forscher wollen nun genauer wissen, wie und warum sie entstehen. So wollen sie neue Strategien zur Vermeidung und Behandlung solcher Überempfindlichkeiten entwickeln.

"Wir werden untersuchen, wie genau sich eine Nahrungsmittelallergie entwickelt", erklärt die Sprecherin der Forschungsgruppe, Prof. Margitta Worm von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Campus Charité Mitte. Dazu möchten die Forschenden chemische Modifikationen des Erbguts von Immunzellen analysieren und überprüfen, welche allergiespezifischen Antikörper die Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten produzieren.

Lassen sich Nahrungsmittelallergien bei Säuglingen verhindern?

"Zudem werden wir testen, ob sich Nahrungsmittelallergien bei Säuglingen durch die frühzeitige Gabe der Lebensmittel verhindern lassen", ergänzt die Leiterin der Klinischen Forschungsgruppe, Prof. Kirsten Beyer von der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin.

Foto: jiri hera/fotolia.com

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