ASCO 2017: Weitere Durchbrüche in der Krebstherapie erwartet
Operationen, Chemo- und Strahlentherapie retten nach wie vor Millionen Krebspatienten weltweit das Leben. Trotzdem gibt das klassische Behandlungstrio längst nicht mehr den Ton auf dem größten Krebskongress der Welt, dem ASCO in Chicago, an. Viel spannender sind die neuen Therapieformen, also die Immuntherapie und die molekular gezielte Therapie. Beide Ansätze haben das Potenzial, die Krebsmedizin nachhaltig zu verändern und darum standen sie auch in diesem Jahr zum wiederholten Male im Mittelpunkt.
Erst kurz vor dem ASCO 2017 Anfang Juni hatte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA eine neue Immuntherapie zugelassen, die für Aufsehen sorgte: Zum ersten Mal bekam ein Krebsmittel seine Zulassung nicht bezogen auf ein Organ, sondern für alle Tumoren mit einem bestimmten genetischen Merkmal. Bei dem Merkmal handelt es sich um eine sogenannte Mikrosatelliten-Instabilität, was eine besonders hohe Mutationslast bedeutet. Der neue Checkpoint-Inhibitor baut unter anderem darauf auf, dass das Immunsystem stark veränderte Krebszellen besser erkennt als solche, die nur wenige Gen-Mutationen haben.
Dritte Generation Checkpoint-Inhibitoren vor der Tür
Während die erste und zweite Generation von Checkpoint-Inhibitoren bestimmte Bremsen des Immunsystems lösen, damit T-Zellen und andere Immunzellen wie NK-Zellen aktiv werden können, ist bereits eine dritte Generation in Entwicklung. Diese neuen immunonkologischen Substanzen agieren mit etlichen Molekülen, die an den verschiedensten Wechselbeziehungen zwischen Tumor, Stroma und Immunzellen beteiligt sind. Laut Krebsspezialist Prof. Ulrich Keilholz offenbart diese dritte Generation künftig ganz neue Möglichkeiten. „Das führt dazu, dass man die Immuntherapie weiter diversifiziert und präzisiert“, erklärte der Leiter des Charité Comprehensive Cancer Centers (CCCC) im Rahmen eines Pressegesprächs beim Best of Asco am Freitag in Berlin, wo die Highlights des amerikanischen Krebskongresses kompakt zusammengefasst wurden.
TRK-Inhibitor schaltet Fusionsgen aus
Einen „Knaller“ gab es unterdessen auch bei den molekular gezielten Therapien: Ein Ínhibitor, der das TRK-Fusionsprotein (Tropomyosin-Rezeptorkinase) hemmt, führte in Studien zu „unglaublichen Ansprechraten“, und zwar organ- und altersübergreifend. Das Fusionsgen ist zwar selten, kommt aber bei fast allen Krebsarten vor: bis zu 0,5 Prozent bei den häufigen Tumorentitäten, bei den seltenen Krebserkrankungen können es jedoch bis zu 30 Prozent sein. Lange habe man geglaubt, man hätte alle Krebstreiber gefunden, was wahrscheinlich auch richtig sei, meinte Keilholz mit Blick auf den Cancer Genome Atlas. „Was man bisher nicht gesehen hat, sind die Fusionsgene und TRK ist ein faszinierendes Beispiel dafür.“
Solche Fusionsgene sind das Ergebnis einer folgenschweren Mutation in der Krebszelle. Krebsforscher werden künftig alles daran setzen, mehr solcher Gene zu finden und die entsprechend aufwändige Diagnostik dafür aufzubauen. Allein vom neuen TRK-Inhibitor könnten in Deutschland bis zu 1.500 Patienten profitieren, schätzt Ulrich Keilholz, der in diesem Zusammenhang von einem „Durchbruch“ spricht. Seiner Ansicht nach wird die Präzisierung der molekularen wie auch der immuntherapeutischen Ansätze den Fortschritt der nächsten Jahre gleichermaßen bestimmen.
Melanom-Therapie war eine Erfolgsgeschichte
In der Therapie des metastasierten Melanoms, wo gleich beide Ansätze zu verblüffenden Erfolgen führten, ist dagegen vorerst kein weiterer Durchbruch zu erwarten. Nach Informationen von Prof. Dirk Schadendorf vom Tumorzentrum am Universitätsklinikum Essen werden derartige Fortschritte, wie man sie in den letzten sieben Jahren beim schwarzen Hautkrebs gesehen hat, künftig wesentlich schwerer zu erzielen sein. „Oder man muss entsprechend lange warten“, erklärte er beim Best of ASCO in Berlin.
Zur Erinnerung: Zunächst sorgten zielgerichtete Medikamente gegen die BRAF-Mutation für unerwartet hohe Ansprechraten und Remissionszeiten. 2015 kamen die ersten Checkpoint-Inhibitoren hinzu, mit ähnlichen Erfolgsquoten. Die neuen Immuntherapien setzten aber noch eins drauf, weil nicht nur die BRAF-Patienten, sondern prinzipiell alle davon profitieren. Wenn nahezu jeder zweite Patient (45 %) noch fünf bzw. drei Jahre (längere Daten liegen zur Immuntherapie noch nicht vor) nach der Diagnose lebt, dann ist der Begriff „Durchbruch“ bei einer Krankheit, die meist innerhalb weniger Monate zum Tode führt, nicht übertrieben.
Immuntherapie wird mit zielgerichteten Medikamenten kombiniert
Der neueste Trend bei dieser Tumorentität ist, zielgerichtete Medikamente mit Immuntherapien zu kombinieren. Derzeit sind bereits vier Phase-II-Studien am Laufen. „Die ersten Ergebnisse sehen vielversprechend aus“, erklärte Hautkrebsspezialist Schadendorf. Die aufwändigen Studien werden deswegen betrieben, weil das metastasierte Melanom zu den aggressivsten Tumoren überhaupt gehört. Vor allem Patienten, die von vornherein eine schlechte Prognose haben, nehmen bislang an der Erfolgsgeschichte nicht teil. Das sind zum Beispiel Patienten, deren LDH-Werte auf eine hohe Tumorlast hindeuten oder Patienten, die durchmetastasiert sind. Auch frühe Metastasen im Gehirn und der Leber deuten auf ein besonders aggressives Streuverhalten des malignen Hauttumors hin. „Auf diese Patientengruppen werden wir uns jetzt vorrangig konzentrieren“, kündigte Schadendorf in Berlin an“, denn hier haben wir nach wie vor eine palliative Situation.“
Und noch etwas werden die Forscher unter die Lupe nehmen müssen: Rausfinden, wie lange die neuen Therapien gegeben werden müssen. Augenblicklich sind zwei Jahre keine Seltenheit. Aber ob das wirklich sein muss, weiß im Moment keiner, da schlichtweg die Daten fehlen. Dabei wären fundierte Erkenntnisse zur Therapiedauer auch aus anderen Gründen wichtig. Immerhin kostet die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren rund 100.000 Euro im Jahr und die zielgerichtete Therapie sogar fast das Doppelte. „Wen behandeln wir wie lange, wird eine entscheidende Frage der Zukunft sein“, so Krebsexperte Schadendorf.
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