Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Antibiotika vor Gelenkersatz oft überflüssig

Samstag, 7. April 2018 – Autor:
Patienten erhalten vor endoprothetischen Eingriffen oft ein Antibiotikum. Das aber ist in den vielen Fällen vollkommen überflüssig, warnen jetzt Infektiologen. Die Studienlage gibt ihnen Recht.
Antibiotika vor Gelenkersatz

Bakterien im Urin? Ohne Symptome brauchen Patienten keine Antibiotika, auch nicht vor einem endoprothetischen Eingriff – Foto: ©Gerhard Seybert - stock.adobe.com

Eine neue Hüfte, ein neues Knie – Gelenkersatzoperationen gehören zu den häufigsten Operationen in Deutschland. Um eine Gelenkinfektion zu vermeiden, werden die Patienten oft prophylaktisch mit einem Antibiotikum behandelt, insbesondere wenn im Urin Bakterien gefunden wurden. Weist der Patient ansonsten aber keine Symptome einer Harnwegsinfektion auf, ist diese Maßnahme völlig überflüssig. Darauf weist jetzt die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) hin. „Es gibt keine Belege dafür, dass eine Antibiotikabehandlung der asymptomatischen Bakteriurie vor Gelenkoperationen die Rate von Gelenkinfektionen senken kann“, sagt DGI-Präsident Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer vom Universitätsklinikum Köln. „Statt dem Patienten zu nutzen, hat dieses Vorgehen oft lediglich einen überflüssigen Einsatz von Antibiotika zur Folge.“

Antibiotikagabe senkt Infektionsrate nicht

Die Experten der DGI stützen sich bei ihrer Aussage auf eine aktuelle Metaanalyse von Zhang et al, wonach weder das Screening auf Bakterien im Urin noch die dann oft folgende Antibiotikabehandlung einen Vorteil hinsichtlich der Infektionsraten bringt. Die DGI geht sogar so weit, Ärzten von einem Screening auf eine asymptomatischen Bakteriurie (ASB) abzuraten. „Die Rate an Protheseninfektionen wird dadurch nicht beeinflusst“, so Fätkenheur.

Das Problem geht aber weit über den Gelenkersatz hinaus. Nach Auskunft des Infektionsexperten gehört die asymptomatische Bakteriurie zu den häufigsten Fehlindikationen bei der Verwendung von Antibiotika. Auch hierzu liegt inzwischen eine Metaanalyse vor: Nach der Studie von Flokas et al wurden in den letzten 15 Jahren fast die Hälfte aller Patienten mit ASB (45 %) unnötigerweise mit Antibiotika behandelt.

Übertherapie der ASB ist belegt

Um eine nicht-behandlungsbedürftige asymptomatische Bakteriurie von einem behandlungsbedürftigen Harnwegsinfekt zu unterscheiden, sei eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung notwendig, meint Fätkenheuer. Ein Laborbefund alleine sei noch keine Indikation für die Gabe eines Antibiotikums. Allerdings hätten speziell ältere und multimorbide Patienten mitunter unspezifische Beschwerden, die als Symptome einer Harnwegsinfektion fehlgedeutet werden könnten. „Dies ist – neben einem falschen Sicherheitsdenken – ein häufiger Grund für die Übertherapie der ASB“, so der Kölner Infektiologe.

Angesichts der Zunahme multiresistenter Keime, weist die DGI auf die Bedeutung des  „Antibiotic Stewardship“ hin. Dabei handelt es sich um Programme zur Optimierung von Antibiotikatherapien in Kliniken, die etwa Schulungen und Beratungen durch Infektionsspezialisten umfassen. „Wenn der rationale Einsatz von Antibiotika und damit die Eindämmung von Resistenzen gelingen soll, dann ist der Ausbau von Antibiotic Stewardship-Programmen und von infektiologischer Expertise in der Versorgung unabdingbar“, so Fätkenheuer.

Wie erfolgreich schon vergleichsweise einfache Maßnahmen sein können, zeigt auch die Metaanalyse von Flokas und seinen Co-Autoren: Durch Schulungen und Feedback-Gespräche etwa sank die Zahl der unnötigen Antibiotikagaben bei ASB in einigen Studien um bis zu 80 Prozent.

Foto: © Gerhard Seybert - Fotolia.com

Hauptkategorien: Medizin , Prävention und Reha
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Antibiotika , Gelenke

Weitere Nachrichten zum Thema Antibiotika

Aktuelle Nachrichten

Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin