Amyotrophe Lateralsklerose – ALS: Neue Wirkstoffkombination könnte Verlauf verlangsamen

ALS zwingt Patienten früher oder später in den Rollstuhl. Ein neues Medikament zögert den Zeitpunkt möglicherweise etwas hinaus – Foto: ©LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine chronisch-degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Das Absterben von Motoneuronen führt zu fortschreitenden Muskellähmungen bei den Betroffenen. Eine Heilung gibt es nicht. Medikamente wie Riluzol können Erkrankungsverlauf lediglich etwas verlangsamen.
Nun macht eine neue Wirkstoffkombination Hoffnung: In experimentellen Studien konnte die Kombination von Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol das Absterben von Neuronen verhindern. Natriumphenylbutyrat ist das Natriumsalz einer Fettsäure (Phenylbuttersäure), es wird bislang erfolgreich bei pädiatrischen Stoffwechseldefekten eingesetzt. Taurursodiol ist eine Gallensäure mit bekannten zytoprotektiven bzw. anti-apoptotischen Eigenschaften. In klinischen Pilot-Studien wurde zuvor die Verträglichkeit von Natriumphenylbutyrat-Taurursodiol bei ALS-Patienten gezeigt.
Phase-II-Studie liefert Hinweise auf Wirkung
Eine Phase-II-Studie aus den USA bestätigte anschließend auch eine gewisse Wirksamkeit. In der multizentrischen, doppelblinden und randomisierten Studie erhielten 89 ALS-Patienten eine orale Medikamenten-Kombination von täglich 3 Gramm Natriumphenylbutyrat und 1 Gramm Taurursodiol zunächst über drei Wochen einmal täglich, danach zweimal. 48 Patienten der Kontrollgruppe bekamen unterdessen ein Placebo verabreicht.
Alle Studienteilnehmer befanden sich im frühen oder mittleren Krankheitsverlauf, die Diagnose lag maximal eineinhalb Jahre zurück. Drei Viertel der Patienten nahmen bereits Riluzol und/oder das Antioxidans Edaravone ein. Der primäre Studienendpunkt war die Verschlechterung der motorischen Funktionsfähigkeit nach 24 Wochen, die mittels ALS-FRS-R-Score erfasst wurde.
Feinmotorische Fähigkeiten bleiben länger erhalten
Die Patienten, die das neue Kombipräparat bekamen, wiesen eine wesentlich langsamere Verschlechterung ihrer Motorik auf als die Placebogruppe: Der absolute Unterschied betrug 2,32 Skalenpunkte. Der Unterschied in der monatlichen Abnahme der Punktzahl war ebenfalls signifikant (-1,24 Punkte in der Verum-Gruppe gegenüber -1,66 Punkte in der Placebo-Gruppe). Der Effekt war am ausgeprägtesten im Hinblick auf die feinmotorischen Fertigkeiten, wie die Autoren hervorheben.
Bei anderen Faktoren wie isometrische Muskelkraft, dem ALS-Biomarker pNF-H im Blut, die Lungenfunktion oder Klinikaufenthalte erbrachte die Therapie keinen Vorteil. Schwere unerwünschte Ereignisse traten bei 19 Prozent der Patienten der Placebo-Gruppe und bei 12 Prozent der Verum-Gruppe auf. Insgesamt 25 Prozent der Patienten beendeten die Einnahme vorzeitig – die meisten aufgrund von gastrointestinalen Beschwerden; dies betraf aber auch 21 Prozent der Patienten in der Placebo-Gruppe.
„Mit dieser Phase 2-Studie kann die Wirksamkeit von Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol noch nicht belegt werden, aber die Ergebnisse machen Hoffnung, dass künftig der Krankheitsverlauf der ALS herausgezögert werden kann“, kommentiert Prof. Thomas Meyer, ALS-Ambulanz der Charité. Gerade der möglichst lange Erhalt von motorischen Alltagsfunktionen sei ein wichtiges Ziel neuer Medikamente und für die Lebensqualität der Betroffenen von höchster Relevanz.
Die Wirkung der neuen Wirkstoffkombination führt der Experte darauf zurück, dass vermutlich bestimmte zelluläre Bestandteile sowie die zelluläre Energieversorgung bzw. die Funktion der Mitochondrien geschützt werden.
Publikation: Paganoni S, Macklin EA, Hendrix S et al. Trial of Sodium Phenylbutyrate-Taurursodiol for Amyotrophic Lateral Sclerosis. N Engl J Med 2020 Sep 3; 383 (10): 919-930 doi: 10.1056/NEJMoa1916945.
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