Auf dem freien Markt regelt üblicherweise die Nachfrage das Angebot. Wenn kein Gast mehr kommt, muss das Wirtshaus schließen. Auf dem Pflegemarkt ist die Situation genau umgekehrt: Der wachsenden Zahl an Pflegebedürftigen stehen immer weniger Pflegekräfte gegenüber. Schon heute hat die Zahl der gemeldeten offenen Stellen einen historischen Höchststand erreicht.
Die Unternehmensberatung Deloitte vermeldet in ihrem Pflegeheim Rating Report 2017 nun folgende Zahlen: Demnach wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um 34 Prozent auf 4,1 Millionen zunehmen. Dadurch werden bis zu 400.000 zusätzliche vollstationäre Pflegeplätze benötigt. Zusätzlich werden bis zu 475.000 Pflegefachkräfte und Beschäftigte (Vollkräfte) benötigt.
Konsequente Nutzung von Digitalisierung gefordert
„Diese enorme gesellschaftliche Herausforderung verlangt nach einem ganzheitlichen Maßnahmenpaket. Dazu gehören die Stärkung der ambulanten Pflege, die Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs, der Abbau von Bürokratie, der Einsatz von mehr Kapital und insbesondere die konsequente Nutzung von Digitalisierung und Technologie“, erklärt Dr. Sebastian Krolop, Partner und Leiter Life Sciences und Health Care bei Deloitte.
Nach dem Report hat sich der Anteil der Menschen, die direkt aus dem Krankenhaus in ein Pflegeheim überwiesen wurden, innerhalb der letzten zehn Jahre auf über 70 Prozent mehr als verdoppelt. Gleichzeitig nimmt der Anteil der Pflegebedürftigen der leichtesten Stufe 1 in den Pflegeheimen kontinuierlich zu (von ca. 30 auf nahezu 40%).
Die Autoren betrachten diese Entwicklung mit Sorge. Angehörige oder Betroffene seien in den akuten Situationen oft maßlos überfordert, hier werde von der Politik deutlich mehr erwartet. Eine Lösung sehen die Wirtschaftsberater in Maßnahmen wie Reha vor Pflege, Kurzzeitpflege, Einbindung von Sozialdiensten und Einsatz von Technologie zum besseren Informationsaustausch oder im Rahmen von Ambient Assisted Living. Durch solche Maßnahmen könnten viele dieser Heimbewohner in ihrem gewohnten Umfeld bleiben.
Pflege ist ein Wachstumsmarkt
Rein wirtschaftlich betrachtet ist der Pflegemarkt ein Wachstumsmarkt. Dem Report nach wird bis 2030 das Marktvolumen von derzeit ca. 47 auf über 66 Milliarden Euro ansteigen. Damit ist der Pflegemarkt der am stärksten wachsende Bereich im gesamten Gesundheitsmarkt.
Dabei ist die wirtschaftliche Lage der Pflegeheime besser als die der Krankenhäuser. Ihre durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit (Zahlungsunfähigkeit) betrug 2015 nur 0,54 Prozent. Nur 2 Prozent der analysierten Pflegeheime lagen im „roten Bereich“, besaßen also eine erhöhte Insolvenzgefahr. Von den Krankenhäusern sind dagegen im Moment rund 11 Prozent insolvenzgefährdet.
Das bedeutet aber nicht, dass nicht nachjustiert werden müsste. Deloitte empfiehlt der Politik, eine langfristig stabile und nachhaltige Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) sicherzustellen. Durch die Anhebung des Beitragssatzes 2015 und 2017 habe die SPV ihre Einnahmen deutlich erhöhen können, sodass bis 2016 die Kapitalreserven weiter ausgebaut worden seien. „Durch die einhergehenden Leistungsausweitungen übertreffen aber bereits 2017 die Ausgaben die Einnahmen, sodass es zukünftig zu einem Abbau der Kapitalreserven kommt“, prophezeit Krolop. Ohne Gelder aus dem Pflegefonds reichten die Kapitalreserven der SPV vermutlich noch bis etwa 2022, so der Gesundheitsökonom weiter. Langfristig seien daher sowohl Eingriffe an der Einnahmen- als auch an der Ausgabenseite nötig.