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Pflege erfordert hohe Kompetenz

Montag, 1. Juni 2009 – Autor:
Interview mit Marie Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerates und Leiterin des Deutschen Pflegekongresses
Marie Luise Müller

Marie Luise Müller

Marie Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerates und Leiterin des Deutschen Pflegekongresses, über die aktuelle Debatte, die Pflegausbildung auch für Hauptschüler zu öffnen, den Fachkräftemangel und neue Anreize für den Pflegeberuf.

CDU und SPD wollen die Pflegausbildung auch für Hauptschüler öffnen. So sieht es der Gesetzesentwurf zur 15. AMG-Novelle vor. Der deutsche Pflegerat wehrt sich dagegen, warum?

Der Gesetzesentwurf ist ein Affront. Seit Jahren kämpfen wir für die Professionalisierung des Krankenpflegeberufs - auch mit Unterstützung der Politik. Unsere erfolgreichen Bemühungen werden mit dem Gesetzesentwurf nun konterkariert. Ich warne ausdrücklich vor einer Deprofessionalisierung der Pflegeberufe. Auf die Bildungsdefizite, die durch die PISA-Studien zutage kamen, muss ich hier nicht weiter eingehen. Pflege ist ein absolut anspruchsvoller Beruf, der eine hohe Kompetenz voraussetzt. Ich bin sicher, dass sich die Erwartungen von Frau Schmidt, durch ein Absenken der Zugangsvoraussetzungen neues Bewerberpotenzial zu gewinnen, nicht erfüllen werden.

Bis zum Jahr 2030 benötigen wir in Deutschland aber 1,5 Millionen zusätzliche Pflegekräfte. Wie wollen Sie dem Fachkräftemangel begegnen?

Wir müssen den Beruf attraktiver machen. Indem wir mehr Autonomie in der Patientenversorgung bekommen und das Aufgabenprofil verändern - und zwar nach oben hin. Eine studierte Pflegwissenschaftlerin ist in der Lage, die gesamte Anamnese zu erheben und Behandlungsmassnahmen einzuleiten. Sie agiert auf Augenhöhe mit den Ärzten. Auf der anderen Seite fordern wir Delegation. Aufgaben wie Essen austeilen, können zum Beispiel Hotelfachkräfte professionell übernehmen. Daraus entsteht der so genannte Skill Mix, das heisst wir werden künftig auf der Station ein Team aus unterschiedlich ausgebildeten Pflegekräften haben.

Ihr Ziel sind selbstbewusste Pflegekräfte, die Ärzten auf Augenhöhe begegnen. Nun ist es doch so, dass man ein Medizinstudium nicht gerade mit einer Pflegausbildung vergleichen kann...

Deshalb brauchen wir unbedingt höhere Bildungsabschlüsse wie den Bachelor und den Master. Aber können Sie mir erklären warum ein Diabetiker unbedingt zum Arzt muss, um seine Werte kontrollieren zu lassen? Diese Aufgabe können auch gut ausgebildete und entsprechend spezialisierte Pflegekräfte übernehmen. Nehmen Sie den Bereich der Wundpflege. Hier gibt es bereits den zertifizierten Wundmanager. Das sind hoch spezialisierte Pflegekräfte, die auf diesem Gebiet eine höhere Kompetenz besitzen als jeder Arzt. Pflege kann in unzähligen Bereichen ärztlichen Aufgaben übernehmen.

Sie träumen von einer Pflegepraxis. Wie funktioniert so ein Modell?

Die so genannte Nurse Practioner hat das Studium Pflegwissenschaften absolviert und arbeitet freiberuflich in einer Pflegepraxis. Sie betreut eigenverantwortlich Patienten und macht auch Hausbesuche. In der Regel sind das Patienten mit chronischen Krankheiten, deren Zahl in Zukunft weiter steigen wird. Diese Patienten profitieren von der hohen Beratungskompetenz, denn es sind die Pflegekräfte vor Ort, die am besten wissen, welche Massnahmen und Hilfsmittel für den Patienten geeignet sind. Beispielsweise in der Ernährung, Wundpflege, Hautpflege oder beim richtigen Umgang mit Inkontinenz und Stoma.

Wann wird die Nurse Practitioner in Deutschland Realität?

Ich denke, dass wir im Jahr 2015 so weit sein werden. Bis dahin haben wir zahlreiche gute Abgänger aus den Hochschulen. Ich hoffe, dass bis dahin auch die Ergebnisse des Modellvorhabens nach § 63c SGB V vorliegen und der heute noch von der Bundesärztekammer alleinige Anspruch, heilkundlich tätig werden zu können, aufgelöst wird. Die Pflege wie auch andere nichtärztliche Gesundheitsberufe, z.B. Physiotherapeuten benötigen dringend einen Primärzugang zu ausgewählter Leistungserbringung, um den Menschen schnell und qualitativ gesichert die notwendigen Leistungen zukommen zu lassen. Nach dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 können wir bereits heute bestimmte Heilmittel auch verordnen. Damit meine ich alle Hilfsmittel wie zum Beispiel Rollstühle, Gehhilfen Bandagen, aber auch Pflegehilfsmittel wie Windeln oder Verbandsstoffe, die wir etwa in der Wundversorgung einsetzen.

Zurück zum Fachkräftemangel. Wie wollen Sie weitere Anreize schaffen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen?

Wie eben schon gesagt: Mehr Autonomie in der Patientenbetreuung. Aber auch in der Vergütung würden wir eine Differenzierung nach Ausbildungsgrad begrüssen. Zurzeit ist es so, dass ein Pflegewissenschaftler dieselbe Vergütung erhält wie ein Pfleger nach dreijähriger Ausbildung. Hier müssen neue Anreize geschaffen werden, damit der Hochschulabsolvent auch wieder zurück in die Pflege ins Krankenhaus oder andere Einrichtungen geht. Darüber hinaus haben die Mitglieder des Deutsche Pflegerates seit November 2008 in Berlin die Registrierungsstelle beruflich pflegender Berufe (RbP) in eine GmbH gewandelt und agieren schon aktiv im Markt. Damit wollen wir die Zahl von Pflegekräften, die ihre regelmässige Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmassnahmen nachweisen, deutlich erhöhen. Lebenslanges Lernen ist Teil unseres professionellen Selbstverständnisses und der Qualitätssicherung pflegerischen Handelns. Mit der Registrierung wird dieses Selbstverständnis nachweislich dokumentiert.

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Pflege

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