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"Die Zecke riecht uns"

Montag, 13. Juni 2016 – Autor:
Warum Zecken mittlerweile auch in unseren Gärten zu finden sind, wie man sich vor ihnen schützen kann und ob eine Impfung sinnvoll ist, erklärt die Parasitologin Prof. Ute Mackenstedt im Interview mit Gesundheitsstadt Berlin.
Ute Mackenstedt

Parasitologin Prof. Ute Mackenstedt forscht über Zecken

Sie sagen, der Lebensraum der Zecke beginnt vor der eigenen Haustür. Im Großraum Stuttgart fanden Sie in 60 Prozent der Gärten Zecken. Lagen die Gärten in Waldnähe?

Prof. Ute Mackenstedt: Nicht unbedingt, wir haben sogar Zecken in Wohnsiedlungen im innerstädtischen Bereich gefunden.

Wieviel Zecken saßen im Durchschnitt in einem Garten?

Mackenstedt: In einem Garten fanden wir übers Jahr 1.600 Zecken, in anderen waren es nur 10 bis 20.

In Baden-Württemberg gibt es besonders viele Zecken?

Mackenstedt: Es gibt bei den Zecken ein Nord-Süd-Gefälle. In Bayern und Baden-Württemberg leben die meisten. Aber wir haben beobachtet, dass sie sich langsam nach Norden ausdehnen. Der gemeine Holzbock, über den ich forsche und der 95 Prozent der Zeckenpopulation ausmacht,  ist jetzt in Skandinavien und sogar am Polarkreis aufgetaucht. Es wurden in Skandinavien FSME-Infektionen durch Zeckenstiche gemeldet.

Warum breitet sich die Zecke nach Norden aus?

Mackenstedt: Wir führen das auf den Klimawandel zurück. Dadurch sind die Temperaturen gestiegen. Die Zecke mag Wärme und Feuchtigkeit. Ein schwülwarme Wetterlage mit hoher Luftfeuchtigkeit ist für sie perfekt. Und die Verbreitung der Zecke dehnt sich nicht nur horizontal sondern auch vertikal aus: Der Holzbock wird neuerdings auch in Gebirgen auf einer Höhe von 1.200 bis 1.500 Metern gefunden.

Welche Klima behagt der Zecke nicht?

Mackenstedt: Was sie nicht mag, ist eine trockene Umgebung. In trockenen, heißen Sommern wandert sie von Büschen und Gräsern in Richtung Erdboden, wo es noch feuchter ist. Es ist durchaus möglich, dass sie sich aus Gebieten, die sich im Zuge des Klimawandels zu Trockenregionen entwickeln, allmählich zurückzieht. Wir vermuten, dass aus dem Mittelmeerraum dann andere Zeckenarten hier einwandern. Wie zum Beispiel die braune Hundezecke. Sie hat sich an die Trockenheit angepasst und kann sogar in Wohnungen überleben.

Die Zecken machen auch keine Winterpause mehr wie früher?

Mackenstedt: Ja. Das liegt an den milden Wintern. Herrschen mehrere Tage hintereinander Temperaturen von 7 bis 9 Grad, wird die Zecke aktiv. In den vergangenen beiden Jahren war es um Weihnachten herum noch so warm, dass sie bis in den Januar hinein noch aktiv waren.

Hat die Zecke natürlich Feinde?

Mackenstedt: Hierzulande gibt es nur die Zeckenerzwespe, die Eier in der Zecke ablegt. Wenn die Zecke dann eine Blutmahlzeit einnimmt, entwickeln sich diese – und die Zecke stirbt. Wir experimentieren seit geraumer Zeit mit Pilzen und Fadenwürmern, die Zecken töten. Wir wissen bloß noch nicht genau, wie man die natürlichen Feinde einsetzen könnte.

Die Zecke ist also recht resistent gegen äußere Einwirkungen?

Mackenstedt: Zecken sind hart im Nehmen. Die beeindruckt so ziemlich gar nichts. Sie können von einer Blutmahlzeit 1 bis 1,5 Jahre zehren und haben eine unglaubliche Geduld. Der gesamte Entwicklungszyklus dauert 5 bis 7 Jahre: Das Weibchen legt Eier. Die Larven suchen sich ein Wirtstier, saugen Blut, lassen sich abfallen, häuten sich und entwickeln sich zur Nymphe. Die sucht sich ein Wirtstier, saugt, lässt sich abfallen, häutet sich und wird zur erwachsenen Zecke. Doch 99 Prozent ihrer Zeit verbringt die Zecke nicht auf dem Wirtstier sondern in der Vegetation.

Welche Wirtstiere benutzt die Zecke?

Mackenstedt: Sie nehmen was kommt. Nagetiere, Igel, Vögel, Rehe, Füchse, Dachse. Der Mensch ist also nicht das einzige Wirtstier.

Wie findet die Zecke ihr Wirtstier?

Mackenstedt: Der Holzbock ist blind. Zecken riechen uns. Sitzen sie auf einem Grashalm strecken sie das vordere Beinpaar in die Luft. Auf dem befinden sich Sinnesorgane, die das ausgeatmete Kohlendioxid oder Schweiß erfassen. Darauf reagiert sie – und wechselt blitzschnell auf das Wirtstier oder den Menschen.

Woher kommen die FSME-Viren oder Borrelien, die beim Menschen Borreliose oder die gefährliche Frühsommermeningoenzephalitis auslösen lönnen?

Mackenstedt: Die Wirtstiere sind infiziert, meist aber immun gegen diese Erreger. Teilweise tragen sie auch beide in sich. Die Zecke nimmt sie beim Blutsaugen auf, behält sie in jedem Entwicklungsstadium und kann sie auf andere Wirtstiere und auch den Menschen übertragen.

Wie kommt die Zecke vom Nagetier im Wald in meinen Garten?

Mackenstedt: Häufig durch Transportwirte, die weitere Strecken zurücklegen, also Rehe, Füchse oder Hunde.

Können Hunde auch an den Erregern erkranken?

Mackenstedt: Hunde können an FSME erkranken und an Lähmungserscheinungen leiden.

Gegen FSME kann mit einer Impfung vorbeugen. Wer sollte sich impfen lassen?

Mackenstedt: 80 Prozent der FSME-Fälle werden bislang in Bayern und Baden-Württemberg gemeldet, doch jedes Jahr kommen ein oder zwei neue Landkreise hinzu, die auch als Hochrisikogebiete gelten, besonders im Südosten, Sachsen, Thüringen. Wer sich in einem Hochrisikogebiet aufhält und dort viel draußen unterwegs ist, sollte über eine Impfung nachdenken. Der Impfstoff wurde 2006 neu formuliert und ist seitdem weitgehend nebenwirkungsfrei. Einen Borreliose-Impfstoff zu entwicklen, ist weitaus schwieriger, da es viele verschiedene Borrelien-Arten gibt.

Wie hoch ist die FSME-Impfrate in Deutschland?

Mackenstedt: Zwischen 20 bis 30 Prozent. Meiner Meinung nach ist das zu wenig. In Österreich wurde nach vielen FSME-Erkrankungen vor Jahren eine FSME-Impfkampagne gestartet. Mittlerweile liegt die Impfrate dort bei über 80 Prozent – und die Zahl der gemeldeten FSME-Fälle ist deutlich gesunken. Da ist also hierzulande noch Luft nach oben.

Wie kann man sich gegen Zecken schützen?

Mackenstedt: Das wichtigste ist, sich nach Spaziergängen oder Aufenthalten im Freien abends abzusuchen. Die Zecke wandert noch einige Zeit auf dem Menschen herum, um sich einen geeigneten Platz zu suchen, bevor sie zusticht und mit der Blutmahlzeit beginnt - Hautfalten etwa, in denen es etwas feuchter ist. Hat sie sich bereits festgesaugt, sollte man sie so schnell wie möglich entfernen. Borrelien werden erst nach einer Saugzeit von 12 bis 14 Stunden übertragen. Insektenschutzmittel bieten keinen 100prozentigen Schutz, aber das Risiko eines Zeckenbisses sinkt dadurch um 70 bis 80 Prozent.

Prof. Ute Mackenstedt ist Zoologin und leitet den Fachbereichs Parasitologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart.

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