„Die TTR-FAP könnte bald heilbar werden”
Herr Professor Hund, Sie haben sich auf die Transthyretin-assoziierte familiäre Amyloid-Polyneuropathie - kurz TTR-FAP - spezialisiert. Nach einem Spezialisten für diese seltene Erkrankung müssen Betroffene wahrscheinlich lange suchen?
Da nur ein Mensch unter 100.000 an der TTR-FAP erkrankt, können Sie sich vorstellen, dass nur wenige Neurologen dieses Krankheitsbild überhaupt einmal im Leben zu Gesicht bekommen. Wie bei allen seltenen Erkrankungen ist der Weg bis zur richtigen Diagnose daher für die meisten Patienten sehr, sehr lang. Das Heidelberger Amyloidose-Zentrum ist aber momentan dabei, bundesweit Ansprechpartner zu finden. Schließlich brauchen die Patienten ja auch wohnortnah jemanden, der sich um sie kümmert.
Wie sieht die Situation in Berlin aus?
Im Großraum Berlin haben wir im Augenblick zwei Neurologen, mit denen wir zusammenarbeiten. Ein Zentrum für TTR-FAP existiert aber noch nicht. Deshalb ist es wichtig, das Bewusstsein für diese Erbkrankheit unter den Neurologen zu schärfen.
An welchen Symptomen erkennt man denn eine TTR-FAP?
Typischerweise beginnt die Krankheit mit dem Verlust des Temperaturempfindens und Schmerzen in den Füßen, oft kommt ein Kribbeln oder Taubheitsgefühl dazu. Diese Symptome steigen dann meist sehr rasch auf und betreffen auch die Motorik, so dass Patienten im Laufe der Zeit mehr und mehr ihre Bewegungsfähigkeit einbüßen. Hinzukommen Durchfälle und in einigen Fällen auch Hornhaut- und Glaskörpertrübungen, was zu einem Verlust der Sehschärfe führt.
Ursache ist eine Schädigung der Nerven?
Bei der TTR-FAP lagern sich aufgrund eines Fehlers im Erbgut ein bestimmtes Protein, das Transthyretin, in Form von Amyloid im Nervensystem und in den Organen ab. Das Herz ist übrigens häufig auch betroffen. Im Vergleich zur Polyneuropathie ist die Herzbeteiligung einfacher zu diagnostizieren, weil die Verdickung des Herzens im Ultraschall sehr offensichtlich ist. Wichtig zu wissen: Einmal aufgetretene Schädigungen lassen sich nicht mehr rückgängig machen, weder an den Nerven noch am Herzen.
Deshalb ist eine frühe Diagnose so wichtig.
Richtig. Letzte Gewissheit bringt ein Gentest. Dafür reicht eine Blut- oder Speichelprobe aus.
Den Gentest können auch nicht erkrankte Personen machen lassen, wenn ein Elternteil an TTR-FAP erkrankt ist. Bricht denn die Krankheit bei den Genträgern zwangsläufig aus?
Nein. Daten des schwedischen TTR-FAP-Registers zeigen, dass die Erkrankung nur bei der Hälfte der Betroffenen vor dem 70. Lebensjahr ausbricht. Das Risiko beträgt also bis zu diesem Alter in etwa 50 Prozent. Nichts desto trotz sollte man sich diesen Schritt gut überlegen. Denn einem Krankheitsausbruch vorbeugen, kann man nicht.
Welche Chancen haben die erkrankten Patienten?
Die TTR-FAP führt in der Regel acht bis fünfzehn Jahre nach Auftreten der ersten Symptome zum Tod. Das Fortschreiten der Erkrankung lässt sich aber mit einem 2011 zugelassenen Medikament hinauszögern. Außerdem wurden seit den Neunziger Jahren bereits mehr als 2.000 Lebertransplantationen zur Behandlung der TTR-FAP durchgeführt.
Den Zusammenhang müssen Sie uns erklären.
Die Leber ist das Organ, das hauptverantwortlich für die Produktion von Transthyretin ist. Bei der TTR-FAP ist dieses Protein verändert und es kommt zu den geschilderten Eiweißablagerungen im Körper. Wird die Leber nun durch eine gesunde ersetzt, wird wieder normales Transthyretin produziert. Die Lebertransplantation ist darum sogar ein kurativer Ansatz.
Der einzige bislang?
Nicht ganz. Derzeit befinden sich zwei gentherapeutische Substanzen in klinischen Studien. Mit diesen Substanzen lässt sich das defekte Gen quasi stilllegen. Wir sprechen auch von Gen-Silencing.
Spruchreif ist die neue Behandlung aber noch nicht.
Es laufen immerhin klinische Studien, und die vorläufigen Daten sehen sehr gut aus. Wenn Sie jetzt ein asymptomatischer Genträger sind und wissen, dass es in einigen Jahren sehr wahrscheinlich eine Heilung auf Rezept geben wird, ist das ein echter Lichtblick. Bei erblichen Erkrankungen ist so etwas äußerst selten.
Prof. Dr. med. Ernst-Fritz Hund ist niedergelassener Neurologe und TTR-FAP-Spezialist in Heidelberg. Als ehemaliger Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg führt er dort in Verbindung mit dem Amyloidosezentrum Heidelberg heute noch ambulante Sprechstunden für Patienten mit TTR-FAP durch.