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"Die fokale Therapie kann für viele Männer eine gute Behandlungsalternative werden"

Dienstag, 29. April 2014 – Autor:
Fokale Therapie heißt ein neuer Hoffnungsträger in der Therapie des Prostatakarzinoms. Gesundheitsstadt Berlin sprach mit Prof. Dr. Manfred Beer, Chefarzt der Urologie am Franziskus-Krankenhaus, über die Vorteile des organerhaltenden Verfahrens und wo es an seine Grenzen stößt.
Die fokale Therapie kann für viele Männer eine gute Behandlungsalternative werden

Prof. Dr. Manfred Beer

In Urologen-Kreisen wird die fokale Therapie derzeit als Durchbruch gehandelt. Ist da was dran, Herr Professor Beer?

Beer: Auf jeden Fall haben wir es mit einem gewaltigen Fortschritt zu tun, so viel ist klar. Eine neue technische Entwicklung macht es möglich, dass wir Prostatakarzinome jetzt millimetergenau zerstören können. Und zwar so genau, dass gesundes Gewebe und umliegende Nervenstränge keinen Schaden nehmen. Das ist natürlich ein immenser Vorteil gegenüber der Operation, zumal die Prostata bei dem Verfahren erhalten bleibt. Wenn Sie so wollen, ist die fokale Therapie ein sehr schonendes organ- und funktionserhaltendes Verfahren.

Das klingt erst mal gut. Wo ist der Haken?

Beer: Ehrlich gesagt: Bei geeigneter Patientenselektion kann ich mir keinen vorstellen. Außer, dass es naturgemäß noch keine vergleichenden Langzeitdaten gibt. Insofern wissen wir noch nicht, wie sich die Therapie letztlich auf das Gesamtüberleben auswirkt.

Was glauben Sie?

Beer: Aus meiner Erfahrung heraus denke ich, dass die fokale Therapie krebstherapeutisch mit den Standardverfahren mithalten kann, wenn sie bei den richtigen Patienten zur Anwendung kommt. Genau das wird ja derzeit in einer klinischen Studie untersucht, an der auch unser Zentrum teilnimmt. Bis allerdings belastbare Daten vorliegen, gehen noch gut zehn Jahre ins Land. Das Prostatakarzinom ist schließlich ein relativ langsam wachsender Tumor, da muss man in großen Zeiträumen denken. Nebenwirkungsärmer als Operation oder Bestrahlung ist die Therapie aber in jedem Fall.

Sie sprachen eben von den „richtigen“ Patienten. Wer kommt denn für eine fokale Therapie in Frage?

Beer: Ich will Sie hier nicht mit Gleason-Score, Differenzierungsgraden und Wachstumsmustern von Tumoren langweilen. Deshalb nur so viel: Die Therapie kommt sicher für Patienten in Frage, denen wir heute eine aktive Überwachung empfehlen würden, denen das aber zu wenig ist. Wir gehen davon aus, dass auch noch weitere Patienten von dem Verfahren profitieren können.

Die aktive Überwachung bedeutet, dass der Patient überhaupt keine Therapie bekommt. Wem empfehlen Sie so etwas?

Beer: Wir wissen heute, dass je nach Tumorformel mit einer Operation nur einer von 30 Patienten einen Überlebensvorteil hat. Alle anderen 29 leben durch die Operation keinen Tag länger. Deshalb gibt es eine große Gruppe von Männern, denen wir eine Operation und ihre Nebenwirkungen ersparen können – eigentlich. Sie können sich aber sicher vorstellen, dass sich viele gegen eine aktive Überwachung entscheiden. Mehr als die Hälfte der Männer, die anfangs noch mitmachen, brechen die Strategie nach einer Weile ab und lassen sich dann doch operieren oder bestrahlen. Damit nehmen sie dann natürlich auch mehr Risiken für Kontinenz- und Potenzprobleme in Kauf.

Und jetzt können Sie diesen Patienten mit der fokalen Therapie eine schonende Alternative anbieten?

Beer: So ist es. Das Angebot wird überwiegend von Männern angenommen, die selbst über ihre Behandlung bestimmen möchten und möglichst wenige Nebenwirkungen haben wollen. Die Krankenkassen zahlen übrigens die Behandlung.

Die Kassen sind ja nicht gerade dafür bekannt, dass sie jeden Hype mitmachen. Wie kommt es, dass sie ein neues Verfahren ohne belastbare Studiendaten bezahlen?

Beer: Die fokale Therapie ist eine Weiterentwicklung der HIFU-Therapie, die schon seit Mitte der 1990er Jahre in der Therapie des Prostatakarzinoms etabliert ist. Insofern ist das eigentliche Therapieprinzip gar nicht neu, es wurde allerdings technisch und softwaretechnisch erheblich verfeinert bzw. verbessert.

Die Verbesserung heißt Focal One und kostet einen Betrag im sechsstelligen Bereich. Was kann dieses moderne, bislang konkurrenzlose Gerät leisten?

Beer: Es kann – und das ist eben neu – Live-Ultraschall mit MRT-Aufnahmen, auf denen das Behandlungsareal genau abgegrenzt ist, dreidimensional fusionieren. Der hochfokussierte Ultraschall kann somit nur in dem markierten Gebiet seine volle Energie entfalten und dort das Tumorgewebe gezielt zerstören. Bislang konnte man nur zigarrenförmige Areale von etwa acht Millimetern mal zwei Zentimetern beschießen, heute können wir auf Pixelgröße runtergehen. Prinzipiell bieten sich für die fokale Tumordestruktion mehrere durchaus oft auch weniger kostenintensive Technologien an. Sei es die fokale Brachytherapie oder auch die interstitielle Laser- oder Hochfrequenzablation. Da diese Verfahren jedoch einen höheren Invasivitätsgrad haben, was auch teils letale septische Komplikationen induzieren kann, konzentrieren wir uns auf den hochfokussiertem Ultraschall, der eine kontakt- und berührungsfreie Tumordestruktion ermöglicht.

Wo kommen die MRT-Bilder eigentlich her, die Ihnen die wichtigen Informationen zum Tumor liefern?

Beer: Die Aufnahmen werden im Vorfeld mit einem 3-Tesla-MRT gemacht und dann ins System eingespielt. MRT-Bilder stellen mittel bis schlecht differenzierte Tumor gut dar und sind daher für unsere Zwecke sehr gut geeignet. Die MRT-Ultraschall-Fusion nutzen wir übrigens neuerdings auch bei der Diagnostik und Nachkontrolle. Die Hoffnung ist, den Männern damit künftig einige Stanzbiopsien zu ersparen.

Noch eine Frage zur Therapie: Was kommt denn auf die Patienten zu?

Beer: Die eigentliche Behandlung dauert nicht länger als 30 Minuten. Und da es kein invasiver Eingriff ist, braucht der Patient nicht einmal eine Vollnarkose, eine Spinalanästhesie und ein leichtes Schlafmittel reichen völlig aus. Die Patienten sind anschließend sehr schnell wieder fit und können drei Tage später nach hause gehen; sollten sich aber quartalsweise wieder zur Nachkontrolle vorstellen.

Hat das Verfahren denn so gar keine Nebenwirkungen?

Beer: Nach der Behandlung kommt es fast immer zu einer Schwellung im Bereich der Prostata, was mitunter zu Blasenentleerungsstörungen führen kann. Das kann unangenehm sein, aber die Schwellung geht in der Regel nach ein bis zwei Wochen wieder zurück. Unsere Patienten haben die Therapie insgesamt bislang sehr gut vertragen.

Und nach der Therapie sind die Patienten ihren Krebs für immer los?

Beer: Im Idealfall ja. Aber natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Patienten nach einer gewissen Zeit einen weiteren Tumor entwickeln. Sollte wirklich ein signifikanter Tumor folgen, bleibt dann immer noch die Bestrahlung oder Operation. Der Vorteil der fokalen Therapie ist ja, dass sie nicht nur nebenwirkungsärmer ist, sondern dem Patienten alle Türen offen lässt.

Prof. Dr. Manfred Beer ist Chefarzt der Klinik für Urologie am Franziskus-Krankenhaus Berlin und leitet dort das Zentrum für organ- und funktionserhaltende urologisch-onkologische Chirurgie

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin

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