Zeitmangel zentrales Problem im Gesundheitssystem
Krankenhausstrukturen sind mittlerweile vor allem darauf ausgelegt, größtmögliche Erlöse zu erzielen. Das führe nicht selten zu einem Vertrauens- und Informationsverlust, wie die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) anlässlich ihres bevorstehenden 133. Kongresses in Berlin kritisiert „Es gilt, den maximalen Erlös zu erzielen – je mehr und je schwieriger die Fälle bei mittlerer Verweildauer sind, desto besser“, erklärt Professor Gabriele Schackert, Präsidentin der DGCH. Zuwendung werde dann zur entbehrlichen Ressource. Sie fordert: „Wir brauchen wieder mehr Zeit für das Gespräch mit den Patienten.“
Zuwendung als entbehrliche Ressource
Die Zeit, die man mit den Patienten verbringe, schlage sich nicht in der Vergütung nieder, kritisiert der Chirurgenverband. Das habe teilweise gravierenden Folgen. So sei Zeitknappheit eine der Ursachen, weshalb in verschiedenen Fachgebieten die Operationszahlen ansteigen, erklärt Schackert. „Viele Eingriffe würden entfallen, wenn wir die Zeit hätten, im Gespräch den Willen des Patienten kennenzulernen und die richtige, individuelle Indikation zu stellen“, meint die Neurochirurgin. „Dieser Zeitaufwand ist genauso wichtig wie die Operation mit gutem Behandlungsergebnis und muss in der Vergütung berücksichtigt werden.“
Weil viele Kliniken ums Überleben kämpfen, reduzieren die Einrichtungen die stationäre Verweildauer auf ein Minimum und sparen am Personal. „Es ist bereits üblich, Patienten am Tag des Eingriffs direkt nüchtern in den OP-Saal kommen zu lassen“, berichtet Schackert. „Das setzt nicht nur eine hervorragende Organisation bei der Vorbereitung voraus, sondern sorgt häufig auch für zusätzlichen Stress bei den Patienten“, betont die Medizinerin. Die Aufnahme auf die Station erfolgt dann erst nach dem Eingriff.
Patienten klagen über Zeitmangel der Ärzte
Auch ständig wechselnde Ärzte verunsichern die Patienten – nicht zuletzt Folge des Arbeitszeitgesetzes, das die Dauer der Schichten begrenzt und eine regelmäßige Rotation erfordert. „Bei allem Verantwortungsbewusstsein kann es bei den Übergaben zu Informationslücken kommen, die das Behandlungsergebnis gefährden“, warnt Schackert. Es sei Zeit, sich auf das eigentliche Arzt-Patienten-Verhältnis zu besinnen, auf Empathie und Verantwortung.
Generell werden Zeit- und Ärztemangel als Problem im deutschen Gesundheitssystem wahrgenommen. In Umfragen bescheinigen die Deutschen ihrem Gesundheitswesen zwar eine hohe Leistungsfähigkeit, kritisieren aber lange Wartezeiten und Zeitmangel der Ärzte. Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht die mangelnde Zeit der Ärzte für den einzelnen Patienten als kritisch. Mit 57 Prozent hat sich dieser Wert seit Mitte der neunziger Jahre nahezu verdoppelt. Und auch die Mediziner klagen über Kostendruck und eine zu hohe Arbeitsbelastung.
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