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"Wirksame Behandlungen dürfen nicht an administrativen Vorgaben scheitern"

Montag, 8. April 2013 – Autor: Anne Volkmann
Mitte Februar veröffentlichte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) seinen Bewertungsbericht zum Krebsmedikament Xalkori. Gesundheistsstadt Berlin hat den Pneumologen PD Dr. Martin Reck nach seiner Sicht und möglichen Folgen für Patienten gefragt.
Dr. Martin Reck

Dr. Martin Reck

Herr Dr. Reck, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat dem Medikament Xalkori mit dem Wirkstoff Crizotinib keinen Zusatznutzen für die Therapie des ALK-positiven nicht-kleinzelligen Lungenkrebses (NSCLC) bescheinigt. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?

Reck: Die Bewertung durch das IQWiG ist in meinen Augen völlig unverständlich und bedeutet für die betroffenen Patienten eine Katastrophe.

Warum?

Reck: Für diese spezielle genetische Variante des nicht-kleinzelligen Lungenkrebses, an der ja nur etwa vier Prozent der Lungenkrebspatienten leiden, ist Crizotinib derzeit die einzige zielgerichtete Therapie. Die Zulassung, die das Medikament im letzten Jahr durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) erhalten hat, gilt ja auch nur für vorbehandelte Patienten. Das heißt, dass die Patienten, die Crizotinib bekommen, schon mit anderer Therapien behandelt wurden und diese Medikamente entweder nicht vertragen oder sie bei ihnen nicht ausreichend angeschlagen haben. Für sie kommt also nur noch Crizotinib in Frage.  

Sie selbst behandeln in ihrer Klinik Patienten, die unter ALK-positiven nicht-kleinzelligen Lungenkrebs leiden. Welche Erfahrungen haben Sie mit Crizotinib gemacht?

Reck: Crizotinib wurde zwar erst 2012 offiziell zugelassen, aber durch die Studien haben wir schon länger Erfahrungen in der Anwendung. Eine Reihe unserer Patienten erhält daher seit Jahren Xalkori. Bei vielen von ihnen sind dadurch die Tumoren kleiner geworden oder die Erkrankung hat sich mindestens stabilisiert. Außerdem hat Xalkori im Durchschnitt weniger Nebenwirkungen als eine Chemotherapie. Viele unserer Patienten können während der Therapie ganz normal leben und arbeiten. Natürlich können auch hier Nebenwirkungen auftreten, wie beispielsweise Sehstörungen oder eine Veränderung des Leberstoffwechsels. Darauf muss man achten. Wenn man das tut, ist Xalkori aber nach unserer Erfahrung ein gut wirksames und verträgliches Medikament.

Wie konnte es dann zu dieser negativen Bewertung durch das IQWiG kommen?

Reck: Das IQWiG hat Xalkori im Vergleich zu einer herkömmlichen Therapie, also zu einer unspezifischen Chemotherapie, keinen Zusatznutzen zugesprochen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat das IQWiG ganz bestimmte Kriterien, nach denen es die Wirksamkeit eines Medikaments beurteilt. Dazu gehört beispielsweise die Vorgabe, ein Medikament nur dann als besser wirksam zu beurteilen, wenn es die Überlebenszeit verlängert. Genau das ist aber durch die Studien nicht unbedingt messbar. Denn wenn bei den Patienten mit dieser seltenen genetischen Veränderung in der Vergleichsgruppe, die eine Chemotherapie erhalten, der Krebs wieder ausbricht, steigen diese Patienten natürlich auf Xalkori um. Damit ist aber eine direkte Vergleichbarkeit der Überlebenszeit unter Xalkori und unter Chemotherapie nicht mehr gegeben. Dazu kommt, dass für das IQWiG eben nur die Verlängerung der Überlebenszeit gilt, nicht aber die Frage, wie lange eine Krebserkrankung stabil bleibt oder sich der Tumor verkleinert. Ein weiterer Grund für die negative Bewertung scheint zu sein, dass dem IQWiG nicht alle Daten vorgelegen haben, die für eine Beurteilung notwendig gewesen wären.

Welche Folgen hat die Bewertung für die Patienten?

Reck: Die Bewertung des IQWiG stellt eine Entscheidungsgrundlage für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) dar, der nun beurteilen muss, ob das Medikament überhaupt für Patienten einen Mehrnutzen hat und wenn ja, ob ein höherer Preis als für die Chemotherapie dafür verlangt werden kann. Sollte sich der G-BA grundsätzlich gegen einen Mehrnutzen aussprechen, könnte dies dazu führen, dass Ärzte in Zukunft versuchen müssen, über Umwege, beispielsweise über das Ausland, das Medikament zu beziehen, was natürlich wesentlich komplizierter wäre.

Sehen sie auch mögliche negative Folgen für die Forschung?

Reck: Ja, natürlich. Ich sehe die Gefahr, dass wir in der deutschen Forschung international ins Abseits geraten. Meine Kollegen im Ausland schütteln jedenfalls den Kopf über die Entscheidung des IQWiG.

Sie scheinen richtig wütend zu sein.

Reck: Ja, denn das Ganze ist wie ein Schlag ins Gesicht. Wir haben hier eine wirklich hervorragende personalisierte Therapie für diese spezielle Variante des nicht-kleinzelligen Lungenkrebses, und es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass eine wirksame Behandlung der Patienten an administrativen Vorgaben scheitert.

 

Priv.-Doz. Dr. Martin Reck ist Chefarzt des Onkologischen Schwerpunktes der LungenClinic Großhansdorf und war unter anderem an der Erstellung nationalen (S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Lungenkarzinoms) und internationaler Leitlinien für die Therapie von Lungenkrebs (ESMO Guidelines) beteiligt.

Interview: Anne Volkmann

Aktuelles Interview / März 2013

Hauptkategorie: Gesundheitspolitik
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