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„Wir wollen die Homöopathie nicht verbieten”

Montag, 30. Oktober 2017 – Autor: Anne Volkmann
Die Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern der Homöopathie sind verhärtet. Gesundheitsstadt Berlin hat mit der Homöopathie-Kritikerin Dr. med. Natalie Grams über wissenschaftliche Prinzipien und den verbreiteten Wunsch nach medizinischen Alternativen gesprochen.
Grams

Natalie Grams

Dr. Grams, Sie hatten als Ärztin von 2011 bis 2015 eine homöopathische Praxis, bildeten sich seit 2004 in der homöopathischen Lehre fort. Was hatte sie damals zur Homöopathie gezogen?

Wie viele andere, die zur Homöopathie kommen, stand auch bei mir am Anfang eine persönliche Erfahrung. Ich hatte körperliche Beschwerden und ging zu einer Heilpraktikerin, die mir Globuli gab. Als es mir danach besser ging, war ich der Meinung, dass könnte nur etwas mit den Globuli zu tun gehabt haben. So kam ich zu der Überzeugung, dass an der Homöopathie doch etwas dran sein müsste. Und wie wahrscheinlich viele andere habe ich das nicht mehr weiter hinterfragt, mir also nicht zum Beispiel gesagt, dass die meisten Beschwerden irgendwann wieder besser werden, auch ganz ohne Behandlung.

Und wie waren Ihre Erfahrungen bei der Behandlung von Patienten?

Natürlich ganz unterschiedlich. Aber in der Tat habe ich häufig erlebt, dass sich unter einer homöopathischen Behandlung bei den Patienten eine Verbesserung oder zumindest Veränderung ihrer Beschwerden ergeben hat – und das habe ich dann als Verbesserung durch die homöopathische Behandlung interpretiert. Doch bei dieser Schlussfolgerung habe ich viele Tatsachen, beispielsweise den Spontanverlauf vieler Erkrankungen oder den Placeboeffekt, außer Acht gelassen. Denn nach mehreren Wochen verändern sich Beschwerden eigentlich immer. Ich denke aber, dass es diese Erfahrung ist, die auch viele Kollegen immer wieder in ihrem Glauben an die Homöopathie bestätigt.

Was hat Sie dann bewogen, Ihre Praxis aufzugeben?

Ich wollte eigentlich ein Buch schreiben, um die Homöopathie zu verteidigen gegen den immer wieder auftauchenden Vorwurf, sie sei eine Scheintherapie. Und für dieses Buch habe ich mich dann tatsächlich zum ersten Mal intensiv mit den entsprechenden Studien beschäftigt und nicht nur das gelesen, was die Homöopathen selbst veröffentlichen. Und ich muss zugeben, dass es lange gedauert hat, bis ich mir selbst eingestehen musste, dass ich mich geirrt hatte und vorher nicht kritisch genug gewesen war.

Gehört es denn nicht zur homöopathischen Ausbildung, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen?

Nein. Wer sich zum Homöopathen ausbilden lässt, muss nicht die ursprünglichen Studien oder Versuchsanordnungen lesen oder sich mit der Medizin zur Zeit Hahnemanns, des Gründers der Homöopathie, beschäftigen. Man muss sich das so vorstellen, dass man in der homöopathischen Welt tatsächlich wie in einer Blase lebt und die Grundüberzeugungen nicht mehr hinterfragt. In der Ausbildung lernt man dann, welche Globuli bei welchen Erkrankungen anzuwenden sind, aber nicht, ob das Gesamtkonzept überhaupt stimmig oder mit wissenschaftlichen Prinzipien vereinbar ist. Und das, obwohl es häufig ausgebildete Mediziner sind, welche die Homöopathie vertreten – so wie ich ja auch. Aber ich war der Meinung, dass bei der Homöopathie Vorgänge am Werke sind, die mit naturwissenschaftlichen Prinzipien, so wie wir sie kennen, einfach nicht erklärbar sind.

Damit sprechen Sie ein Argument vieler Homöopathen an: Die Homöopathie sei zwar nicht erklärbar, aber doch wirksam, und es gebe zwar keine Beweise für die Wirksamkeit, aber auch keine dagegen. Damit entzieht sie sich natürlich jeden wissenschaftlichen Diskurses.

Nun ja, einen Beweis für die Unwirksamkeit eines Mittels zu führen, ist natürlich generell nicht möglich. Aber die Grundprinzipien, auf denen die Homöopathie beruht, sind einfach wissenschaftlich nicht haltbar, zum Beispiel das Prinzip der Potenzierung: Warum sollte ein Wirkstoff, der so stark verdünnt wird, dass er nicht mehr nachweisbar ist, nun besonders wirksam sein? Da gibt es einfach nichts mehr, was noch wirken kann. Auch das sogenannte Ähnlichkeitsprinzip und die Überzeugung von einem „Wassergedächtnis“ sind durch kein wissenschaftliches Prinzip vertretbar und können auch nirgendwo in der Natur wiedergefunden werden.

Die Homöopathie spricht dann beispielsweise von der „Essenz“ der Substanz, die durch das Schütteln auf das Wasser übergegangen ist. Im Grunde betreten wir hier also den Bereich des Glaubens beziehungsweise des Wünschens?

Ja, und auf der anderen Seite gibt es Hunderte von Studien, die zeigen, dass die Wirksamkeit der Homöopathie nicht über dem des Placeboeffekts liegen. Insofern erübrigt sich eigentlich auch die Frage nach den Erklärungsansätzen, die doch eine Wirkung begründen sollen. Ich denke, die Homöopathie erfüllt auch den starken Wunsch vieler Menschen, an etwas Magisches zu glauben, etwas, das irgendwie größer ist als wir und das wir nicht begreifen. Das ist ja auch sehr menschlich. Aber als Mediziner haben wir natürlich auch eine Verantwortung gegenüber dem Patienten, ihm nur das anzubieten, was auch wirklich hilft.

Auf der Suche nach dem, was hilft, hat sich in der Alternativmedizin ja mittlerweile ein breiter Markt entwickelt, der zum Teil schwer zu durchschauen ist: Naturheilkunde, Homöopathie, Osteopathie – viele Menschen sind verwirrt von diesen Begriffen. Wie kann sich der medizinische Laie, der Hilfe abseits der Schulmedizin sucht, in diesem Dschungel der Angebote am besten zurechtfinden?

Das ist wirklich zum Teil schwer zu durchschauen. Ich denke, wichtig ist dabei, sich erst einmal klarzumachen, was Naturheilkunde überhaupt ist. Dazu gehört ja unter anderem der Einsatz von pflanzlichen Wirkstoffen, deren Wirksamkeit zum Teil tatsächlich nachgewiesen ist, zum Teil auch nicht. Und davon sollte man den Bereich der Homöopathie, zu dem auch Bachblüten und Schüsslersalze gehören und den ich als scheintherapeutisch bezeichne, abgrenzen. Und dann gibt es auch noch weitere Begriffsverwirrungen, denn ein Homöopath kann ein Arzt oder Heilpraktiker sein. Doch viele Menschen wissen gar nicht genau, was der Unterschied zwischen Ärzten und Heilpraktikern ist. Dabei ist der Unterschied in der Ausbildung immens. Das heißt nun nicht, dass Naturheilkunde abzulehnen wäre, aber die Patienten sollten wissen, welche Ausbildung ihr Therapeut hat, und dann auf der Basis dieses Wissens entscheiden, zu wem sie gehen wollen.

Nach der Veröffentlichung Ihres ersten Buches haben Sie ja viele Anfeindungen erlebt. Haben Sie den Eindruck, dass die Aggressionen in der Debatte insgesamt wachsen?

Nun, damals war ich wohl sehr naiv, weil ich tatsächlich dachte, dass meine Erkenntnisse doch auch für alle anderen Homöopathen interessant sein müssten. Doch was ich erlebt habe, war natürlich etwas ganz anderes, nämlich massive Anfeindungen, Schmähungen und die Behauptung, ich hätte die Homöopathie nicht verstanden oder sei nicht erfolgreich gewesen – was nicht stimmt. Und tatsächlich hat sich die Situation mittlerweile so hochgeschaukelt, dass ein Dialog kaum noch möglich ist. Daher suchen wir vom Informationsnetzwerk Homöopathie unsere Gesprächspartner jetzt eher in der Politik und bei den Krankenkassen. Ein wichtiger Schritt wurde hier zum Beispiel auch mit dem Münsteraner Memorandum getan, in dem wir eine Neuregelung des Heilpraktikerberufs fordern.

Solche Forderungen können natürlich Angst machen, denn damit wird ja die berufliche Grundlage vieler Menschen berührt.

Ja natürlich, und das verstehe ich auch. Aber es geht uns ja nicht darum, die Homöopathie zu verbieten, das können wir ja auch gar nicht. Aber das Ziel ist zum Beispiel, dass homöopathische Zubereitungen nicht mehr von den Krankenkassen erstattet werden und nicht mehr in Apotheken, sondern stattdessen vielleicht in Supermärkten angeboten werden. Niemandem soll vorgeschrieben werden, welche Art der Behandlung er für sich wählt. Aber jeder sollte genau wissen, was er da nutzt und ob eine Behandlung wissenschaftlichen Prinzipien folgt oder nicht.

Dr. Natalie Grams ist Ärztin, ehemalige Homöopathin und Autorin sowie Leiterin des Informationsnetzwerks Homöopathie, eines Gremiums der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Medial bekannt geworden ist sie durch ihr 2015 erschienenes Buch „Homöopathie neu gedacht“, in dem sie sich von den Überzeugungen der Homöopathie abwandte.

Foto: Michael Hudler

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin
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