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"Wir fangen die Menschen erst einmal auf"

Freitag, 1. Juli 2011 – Autor:
In Berlin erkranken jedes Jahr rund 16 000 Menschen neu an Krebs. Gesundheitsstadt Berlin sprach mit dem Geschäftsführer der Berliner Krebsgesellschaft, Dr. med. Hubert Bucher, über den hohen Bedarf an medizinischer Information und psychosozialer Beratung und wie die Berliner Krebsgesellschaft Krebspatienten und Angehörigen in Krisensituationen unmittelbar hilft.
Dr. med. Hubert Bucher

Dr. med. Hubert Bucher

Herr Dr. Bucher, die Berliner Krebsgesellschaft berät Krebskranke und ihre Familien. Wie kommt das Angebot bei den Berlinern an?

Bucher:
Kaum eine andere Erkrankung löst so viele Fragen und Unsicherheiten aus wie Krebs. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Beratung und Information. Jedes Jahr haben wir circa 1 700 Beratungskontakte. Etwa 600 Patienten bzw. Angehörige suchen die Beratungsstelle persönlich auf. Die Betroffenen sind sehr dankbar für unser Beratungsangebot, das sagen sie uns immer wieder.

Was bedrückt die Menschen denn am meisten?

Bucher:
Fast alle Patienten, die zu uns kommen, haben Fragen zur Krankheit, zur Prognose, zur Therapie und deren Nebenwirkungen. Bei vielen kommen existenzielle Ängste dazu. Denn mit der Krankheit verlieren nicht wenige Patienten erst einmal den Boden unter den Füssen: gesundheitlich, beruflich und leider sehr oft auch familiär.

Wie können Sie diesen Menschen helfen?

Bucher:
Wir fangen die Menschen erst einmal auf. Im Gespräch bekommen sie die Möglichkeit, ihre Ängste auszusprechen und zu konkretisieren. Das entlastet. Angst entsteht nämlich häufig auch durch unzureichende Information. Deshalb ist die Klärung von offenen Fragen ein sehr wesentlicher Bestandteil der Beratung, auch bei der akuten Krisenintervention.

Dabei geht es um medizinische Fragen?

Bucher:
Wir beraten auch in sozialrechtlichen Angelegenheiten, zum Beispiel in Sachen Rentenantrag oder Sozialhilfe, aber medizinische Fragen spielen fast immer eine Rolle. Es kommen beispielsweise Patienten zu uns, die wissen gar nicht, was mit Ihnen eigentlich gemacht wurde. Ich erkläre ihnen dann, was im Arztbrief steht und was beispielsweise eine R1-Resektion bedeutet. Andere Patienten sind sich unsicher, für welche Therapie sie sich entscheiden sollen. So segensreich das Internet sein mag, so sehr kann es die Menschen auch verunsichern.

Geben Sie eine Art ärztliche Zweitmeinung ab?

Bucher:
Nein, ich gebe keine Zweitmeinung ab, das möchte ich hier ausdrücklich betonen. Was ich als Arzt, der 30 Jahre Erfahrung mit Krebspatienten hat, tun kann, ist: Ich zeige den Patienten die Möglichkeiten aus medizinischer Sicht auf und gebe ihnen immer konkrete Fragen mit auf den Weg, die sie dann mit ihrem behandelnden Arzt besprechen können. Gegebenenfalls verweise ich zur Einholung einer Zweitmeinung auch an ein zertifiziertes Krebszentrum. Ein wesentliches Ziel sollte es aber sein, das Vertrauen in den behandelnden Arzt zu stärken.

Wäre die medizinische Information nicht Aufgabe der Kliniken und niedergelassen Ärzte?

Bucher:
Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an. In der Tat übernehmen wir hier Aufgaben, die eigentlich in die Klinik oder in die Arztpraxis gehören und von den Kassen bezahlt werden müssten. Es ist aber so, dass viele Patienten in der ersten Phase der Behandlung noch so unter Schock stehen, dass die Aufklärung des Arztes gar nicht richtig ankommt. Im Nu sind sie entlassen und viele Fragen unter den Tisch gefallen.

Und sie klären die Menschen dann unentgeltlich auf?

Bucher:
Dank der vielen Berlinerinnen und Berliner, die unsere Arbeit mit ihren Spenden und Nachlässen unterstützen, haben wir glücklicherweise diese Möglichkeit. Ich denke aber, es muss auf lange Sicht eine gesellschaftliche Lösung gefunden werden. Wie wollen wir mit dem wachsenden Beratungsbedarf umgehen, damit der Patient zu einer informierten Entscheidung kommt, wie es ja von politischer Seite gefordert wird? Gemeinnützige Organisationen wie wir werden das auf Dauer nicht allein stemmen können.

Medizinische und sozialrechtliche Informationen sind ein wichtiger Teil Ihrer Beratung. Eine Krebserkrankung belastet aber doch sicher auch in hohem Grade emotional?

Bucher:
Das ist richtig. In den Gesprächen geht es auch um Schwäche und Ohnmachtsgefühl, um die Frage nach einer Mitschuld an der Krankheit oder um die Angst vom Partner verlassen zu werden. Im Beratungsgespräch versuchen wir, den Patienten die eigenen Ressourcen aufzuzeigen, ihnen Selbstvertrauen zu vermitteln und zu verdeutlichen, dass Krankheit auch eine Chance sein kann, psychologische Defizite aus der Vergangenheit aufzuarbeiten.

Das ist ja richtige Psychoonkologie ...

Bucher:
Alle Berater in unserem Team haben eine psychoonkologische Ausbildung und es gelingt uns in der Regel, die Patienten in drei, vier Beratungsgesprächen so weit zu stabilisieren, dass sie beispielsweise an unserem Gruppenangebot teilnehmen können. Bei manchen Patienten sind die Ängste allerdings so stark, dass sie weitere therapeutische Hilfe benötigten. Diese Patienten vermitteln wir dann an niedergelassene Psychotherapeuten, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten.

Sie bieten auch Gruppentherapie an?

Bucher:
Unser Angebot reicht von Gesprächsgruppen für Patienten und Angehörige über Yoga- Tanz- und Musiktherapie bis zu Poesie- und Kunsttherapiegruppen. Im Gespräch mit anderen Betroffenen oder auch durch die kreative Auseinandersetzung mit der Krankheit erfahren die Teilnehmer Entlastung und gewinnen eine neue Sicht auf die eigene Lebenssituation. Auch dieses Angebot wird sehr gut angenommen.

Wie hoch ist der Beratungsbedarf unter den Angehörigen? ...

Bucher:
Krebs ist eine Extrembelastung für die ganze Familie. Deshalb kommen auch sehr viele Partnerinnen und Partner allein oder gemeinsam mit dem Patienten. Unsere Aufgabe besteht darin, den Angehörigen aufzuzeigen, wie sie ihren erkrankten Partner unterstützen können, ihnen darüber hinaus aber auch die eigenen Grenzen bewusst zu machen. Auch Angehörige benötigen Beratung und Entlastung, um selbst gesund zu bleiben. Hier leisten wir echte Primärprävention.

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin

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