Wie hoch ist das Risiko für Harnblasenkrebs nach Querschnittlähmung?

Studien zufolge erhöht eine Querschnittlähmung das Risiko für späteren Harnblasenkrebs
Querschnittgelähmte erkranken häufiger an Harnblasenkrebs als Nicht-Gelähmte – diese Tatsache gilt als gesichert. Unklar ist jedoch, wie hoch das Risiko ist, nach einer Querschnittlähmung an Harnblasenkrebs zu erkranken und sogar zu versterben. Doch ein ursächlicher Zusammenhang ist die Voraussetzung für mögliche Leistungen der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV). Beim Tod einer unfallversicherten Person haben Angehörige also nur dann Anspruch auf Rentenzahlungen, wenn die GUV den Tod als Unfallfolge anerkennt.
Ein nationales Netzwerk aus Urologen, Juristen und Forschenden hat nun eine Bewertungsmatrix vorgelegt, die Gutachtern, den Trägern der GUV und den Sozialgerichten Anhaltspunkte zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs liefert. Die Arbeit, an der auch das Leibniz-Institut für Arbeitsforschung beteiligt ist, wurde in der Fachzeitschrift „Trauma und Berufskrankheit“ veröffentlicht.
Kriterien für kausalen Zusammenhang gesucht
Bislang fehlte es an geeigneter wissenschaftlicher Literatur, um Kriterien zu bestimmen, die für oder gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Querschnittlähmung und Harnblasenkrebs sprechen und auch von den Versicherungsträgern akzeptiert werden. Daher haben unter Federführung der Urologen des Berufsgenossenschaftlichen Klinikums Hamburg auf dem Gebiet erfahrene Urologen, Forschende am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund und Experten für Unfallversicherungsrecht gemeinsam Faktoren zusammengetragen und bewertet, die für oder gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen. Als Basis diente die bisherige medizinische Forschungsliteratur.
Querschnittgelähmte erkranken früher an Harnblasenkrebs
Einen Schwerpunkt bildet dabei eine Studie des Querschnittgelähmten-Zentrums am BG Klinikum Hamburg, die von den Autoren der aktuellen Veröffentlichung durchgeführt wurde: Sie werteten die Daten von mehr als 6400 Patienten und Patientinnen zwischen 1998 und 2017 rückblickend aus. 32 von den Querschnittgelähmten erkrankten in der Zeit an Harnblasenkrebs. Dabei fiel auf, dass die Betroffenen zum Zeitpunkt der Diagnose im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung im Schnitt rund 20 Jahre jünger waren. Diese Vorverlagerung der Diagnose steht in Einklang mit Befunden früherer Studien. Weiterhin zeigten die Studienanalysen, dass der Anteil der in den westlichen Industrienationen seltenen Plattenepithelkarzinome bei Querschnittgelähmten stark erhöht ist.
Auch zeigte sich, dass Gelähmte signifikant häufiger als Nicht-Gelähmte an Tumoren erkrankten, die bereits in die Muskulatur der Blase eingewachsen sind. Diese invasive Tumorvariante ist aggressiver als oberflächliche Tumoren. Für Querschnittgelähmte musste daher eine drastisch verkürzte Überlebenszeit festgestellt werden: 50 Prozent der Betroffenen in der Studie am Hamburger Querschnittgelähmten-Zentrum waren anderthalb Jahre nach der Krebsdiagnose verstorben. Hingegen zeigte sich in der Literatur, dass 80 Prozent der Nicht-Gelähmten fünf Jahre nach der Krebsdiagnose am Leben waren.
Genaue Mechanismen noch unklar
„Harnblasentumoren von Querschnittpatienten unterscheiden sich offenbar erheblich von denen Nicht-Gelähmter“, fassen die Studienautoren zusammen. „Aus der Analyse der Studienergebnisse muss geschlossen werden, dass die Unterbrechung des Rückenmarks Auslöser für die Entstehung eines Harnblasenkrebs ist“, so die Autoren weiter. Welche Mechanismen letztendlich dazu führen, dass Betroffene viele Jahre nach einer Querschnittlähmung an Harnblasenkrebs erkranken, sei jedoch noch unklar.
Zudem, so die Autoren, müssten in der Einzelfallentscheidung die von der Querschnittlähmung unabhängigen Einflussfaktoren gegen solche Faktoren abgewogen werden, die einen Zusammenhang bei Querschnittgelähmten belegen: Dazu zählen Aspekte wie Tabakrauchen, die Gabe von bestimmten Krebsmedikamenten oder Bestrahlungstherapien bei Gebärmutterkrebs.
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