Wie Darmflora und MS zusammenhängen
Die Darmflora, auch Mikrobiota oder Mikrobiom genannt, setzt sich aus schätzungsweise 1000 verschiedenen Arten von Darmbakterien zusammen, die in den Wänden des Darms und in dessen Inhalt siedeln. Sie ist wichtig für die Verdauung, die Abwehr von gefährlichen Keimen und Giften oder die Stärkung des Immunsystems. Jeder Mensch besitzt eine individuelle Lebensgemeinschaft von Mikroben, die schützende Funktionen hat – aber auch krank machen kann. Wie Darmbakterien beispielsweise die Gesundheit des Gehirns beeinflussen können, ist derzeit Gegenstand neurologischer Forschungen. Neueste Studienergebnisse zeigen, dass die Darmflora auch bei neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS), Parkinson oder Schlaganfall eine Rolle spielen kann.
Darmbakterien lösen bei Mäusen MS-ähnliche Erkrankung aus
Multiple Sklerose ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems, bei der das körpereigene Immunsystem Nervenstrukturen angreift und zerstört. In Deutschland leben Schätzungen zufolge rund 130.000 Menschen mit MS. Bei ihrer Entstehung spielen vermutlich die Gene und Umweltfaktoren eine Rolle. Zu Letzteren zählen beispielsweise eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, Rauchen, Adipositas in der Kindheit oder ein Mangel an Vitamin D. Dass es auch zwischen der Darmflora eines Menschen und der Entstehung der Multiplen Sklerose eine Verbindung gibt, konnte Professor Hartmut Wekerle, Hertie-Seniorprofessor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München, in Studien mit gentechnisch veränderten Mäusen nachweisen.
Wurden die Mäuse unter sauberen, aber nicht keimfreien Bedingungen gehalten, entwickelten sie eine Krankheit, die der schubförmigen MS ähnlich ist, die experimentell-autoimmune Enzephalomyelitis (EAE). Herrschte dagegen Keimfreiheit, waren die Tiere vor dieser Krankheit komplett geschützt. Sobald der Darm dieser „keimfreien“ Mäuse aber mit der Darmflora von normal aufgewachsenen Tieren besiedelt wurde, erkrankten sie sofort spontan an EAE. „Den Mikrobiota kommt eine entscheidende Bedeutung als Trigger der Multiplen Sklerose zu“, kommentierte Wekerle diese Ergebnisse.
Risikoprofile für MS entwickeln
Den Durchbruch für die Darmflora-Forschung brachten neue Methoden zur Erbgutentschlüsselung, die Gen-Sequenzierung und die Bioinformatik. Selbst äußerst komplexe Metagenome, also die Gene aus einer Bakterienmixtur, können dadurch schnell analysiert werden. Das Ziel gegenwärtiger Forschungen ist es, individuelle mikrobielle Risikoprofile zu identifizieren, die Menschen zum Beispiel für MS anfällig machen. „So könnten sich völlig neue Möglichkeiten zur Vorbeugung und Therapie der Multiplen Sklerose eröffnen“, hofft Wekerle.
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