Wer auf dem Land lebt, kann Stress besser verarbeiten
Schon länger ist bekannt, dass die Anfälligkeit für Asthma und Allergien sowie für psychische Erkrankungen bei Menschen, die in der Großstadt leben, höher ist als bei Landbewohnern. Doch was macht das Landleben so gesund? Dieser Frage sind Ulmer Wissenschaftler mit einem internationalen Forscherteam nun nachgegangen. Dabei fanden sie heraus, dass Landbewohner mit engem Kontakt zu Nutztieren Stresssituationen immunologisch offenbar besser bewältigen können als Großstädter, die ohne Haustiere aufgewachsen sind.
Für ihre Studie, die kürzlich im renommierten Fachmagazin PNAS veröffentlicht wurde, haben die Forscher insgesamt 40 gesunde männliche Probanden einem Stresstest unterzogen und begleitend dazu Stresshormone und immunologische Parameter erhoben. Dabei fanden sie heraus, dass Männer, die die ersten 15 Lebensjahre auf einem Bauernhof mit Nutztierhaltung aufgewachsen sind, psychosozialen Stress besser verarbeiten können als Männer, die die ersten 15 Lebensjahre in einer Großstadt mit über 100 000 Einwohnern und ohne Haustiere verbracht haben.
Bei Großstädtern bleiben Entzündungsmarker länger erhöht
„Gestresst“ wurden die Probanden in einem standardisierten Laborexperiment mit dem sogenannten „Trier-Social-Stress-Test“ (TSST). Dabei werden die Versuchsteilnehmer einer fingierten Bewerbungssituation ausgesetzt und mehr und mehr unter Druck gesetzt. Sie müssen zwischendurch Kopfrechenaufgaben lösen und bei Fehlern erneut von vorne beginnen. Vor und nach dem Test haben die Wissenschaftler Blut- und Speichelproben entnommen, um bestimmte Immunzellen wie mononukleäre Zellen des peripheren Blutes (PBMC) zu gewinnen oder Stressparameter wie Cortisol zu erfassen.
Dabei kam heraus, dass die Landbewohner im Test zwar einerseits höhere Stresswerte zeigten als die Großstädter; dabei waren sowohl die basalen Stresshormonlevel höher als auch das im Fragebogen abgefragte subjektive Stressempfinden. Andererseits ließ sich das Immunsystem der Landbewohner nicht so stark zu einer Reaktion provozieren wie das der Großstädter, die in ihrer Kindheit keinen Kontakt zu Tieren hatten. So war bei den Probanden, die in der Großstadt ohne Tiere aufgewachsen sind, nicht nur der stressinduzierte PBMC-Anstieg größer, sondern auch die Werte für den Entzündungsmarker Interleukin 6 blieben länger erhöht als bei der Vergleichsgruppe.
Mikroben unterstützen Immunsystem
Die Wissenschaftler fanden noch ein weiteres Indiz dafür, dass das Immunsystem der Landbewohner Stress besser verkraftet. Dafür wurden die isolierten mononukleären Zellen des peripheren Blutes auf die Ausschüttung des Entzündungshemmers Interleukin 10 untersucht. Das Ergebnis: Nach dem Stresstest war bei den tierlosen Städtern die Abgabe dieser antientzündlich wirkenden Substanz deutlich verringert, nicht jedoch bei den nutztiernahen Ländlern. Die Forscher vermuten, dass Mikroben dabei helfen, das Immunsystem schneller wieder zu regulieren. Mikroben sind „Umweltbakterien, mit denen der Mensch seit Jahrtausenden recht friedlich zusammenlebt, und die es in der Großstadt heute schwer haben“, erklärt Professor Stefan Reber, Leiter der Sektion für Molekulare Psychosomatik an der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Für die Gesundheit sind überschießende Immunantworten ein Problem, weil diese häufig zu chronischen Entzündungsreaktionen führen. „Solche Prozesse spielen beispielsweise bei der Entstehung von Asthma und allergischen Erkrankungen eine Rolle“, so Reber. „Sie vergrößern aber auch das Risiko für psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen.“
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