Wenn Schmerzmittel Kopfschmerzen machen

Bei chronischen Kopfschmerz- oder Migränepatienten kann der Übergebrauch von Medikamenten die Schmerzen verstärken und dadurch selbst zur Krankheit werden. – Foto: AdobeStock/megaflopp
Schmerzen sind normalerweise ein Alarmsignal des Körpers, dass irgendetwas nicht stimmt. Manche Schmerzen aber sind da, obwohl organisch alles in Ordnung ist. Weil sie dann selbst das Problem sind, spricht man von „primären“ Kopfschmerzen – im Gegensatz zu den „sekundären“, die lediglich Folge oder Ausdruck einer anderen Primär-Erkrankung darstellen. Bekannte Beispiele für solche „primäre“ Kopfschmerzen sind beispielsweise Migräne oder Spannungskopfschmerzen.
Ungewöhnliches Krankheitsbild: „Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz“ (MOH)
Bei Menschen, die wegen wiederkehrender primärer Kopfschmerzen häufig Schmerzmittel einnehmen, kann sich in der Folge ein sogenannter Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz (MOH) entwickeln. „Obwohl die die Erkrankung sowohl behandelbar als auch zu verhindern ist, ist die Prävalenz (= Krankheitshäufigkeit) des MOH weltweit hoch“, heißt es in einem Statement der beobachtet die Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Viele Betroffene und selbst viele der behandelnden Ärzte hätten dieses Krankheitsbild schlicht nicht auf dem Schirm.
Beim MOH (von englisch: medication overuse headache) handelt es sich um eine eigenständige Kopfschmerz-Erkrankung, deren pathophysiologischen Mechanismen nicht vollständig geklärt sind. In der Wissenschaft diskutiert werden: eine gestörte Schmerzmodulation, zentrale Sensibilisierung, psychologische und Verhaltens- ebenso wie genetische Faktoren.
Wie lässt sich ein Arzneimittel-Kopfschmerz feststellen?
„Für die Diagnose eines MOH muss zunächst der Zusammenhang zwischen der zu häufigen Einnahme von akuter Kopfschmerzmedikation und Chronifizierung der Kopfschmerzen aufgeklärt werden“, heißt es bei der Fachgesellschaft DGN. Dies geschehe anhand von Anamnese (Betroffenen wird empfohlen, einen Kopfschmerzkalender zu führen) und neurologischer Untersuchung.
Ab wann spricht man von einem MOH mit Krankheitswert? Wenn bei Betroffenen mit vorbestehendem primären Kopfschmerz an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auftreten, die mit Schmerz- oder Migräne-Medikamenten behandelt werden – und dies über mehr als drei Monate lang, so die DGN.
Arzneimittel-Kopfschmerz: Bei Triptanen besonders häufig
Die Entstehung eines Übergebrauchs-Kopfschmerz hängt unter anderem von der eingenommenen Schmerzmittelgattung ab. Wer Triptane einnimmt (das modernste Medikament gegen Migräne), kann häufiger beziehungsweise schneller diese Kopfschmerzen bekommen, als jemand der etwa Ibuprofen erhält. Ibuprofen ist ein „nichtsteroidales Antirheumatikum“ (NSAR), das gegen Schmerzen und auch gegen Rheuma eingesetzt wird. Als „besonders problematisch“ stuft die Deutsche Gesellschaft für Neurologie opiathaltige Schmerzmittel ein – wegen des zusätzlichen Abhängigkeitspotenzials.
Weitere Risikofaktoren für den Übergebrauchs-Kopfschmerz
Weitere Risikofaktoren für einen Arzneimittel-Übergebrauchs-Kopfschmerz sind laut DGN:
- weibliches Geschlecht
- niedriger Bildungs- oder sozialer Status
- zusätzliche psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Angsterkrankungen
- abhängiges Verhalten (zum Beispiel)
- Einnahme von Medikamenten gegen Schlafstörungen oder Beruhigungsmitteln.
Die DGN ermuntert Schmerzpatienten ausdrücklich, bei einem Verdacht auf Übergebrauchs-Kopfschmerz ihren Arzt offen anzusprechen. „Wichtig ist, dass nicht den Patientinnen und Patienten die ‚Schuld‘ an der Situation gegeben wird“, sagt Hans-Christoph Diener, federführender Autor der DGN-Leitlinie zu diesem Krankheitsbild. Meist liege das Problem in einem unzureichenden Kopfschmerz- oder Migräne-Management und nicht an einem Medikamenten-Missbrauch. Ein MOH trete in erster Linie bei ungenügender Prophylaxe von primären Kopfschmerzerkrankungen auf.
Wie wird der Übergebrauchs-Kopfschmerz behandelt?
„Wenn ein MOH diagnostiziert wurde, so kann eine angemessene Behandlung entsprechend den aktuellen Leitlinien in der Regel effektiv die Kopfschmerz- beziehungsweise Krankheitslast und den Schmerzmittelverbrauch reduzieren“, heißt es bei der DGN. Die Erfolgsrate betrage nach 6 bis 12 Monaten etwa 50 bis 70 Prozent, sagt Diener, der als einer der führenden Neurologen Deutschland gilt.
Die Behandlung des MOH besteht in der Reduktion der Einnahmehäufigkeit der übergebrauchten akuten Schmerzmittel beziehungsweise dem kompletten Absetzen. Gleichzeitig wird mit einer geeigneten Kopfschmerz-Prävention begonnen (beispielsweise mit Topiramat, Amitriptylin, Botulinumtoxin) oder einer Antikörpertherapie gegen das migräneauslösende Neuropeptid. Je nach Situation kann dies ambulant, in einer Tagesklinik oder im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführt werden.