Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Wenn Schmerzmittel Kopfschmerzen machen

Freitag, 10. Februar 2023 – Autor:
Patienten mit chronischen Kopfschmerzen brauchen Schmerzmittel. Deren Einnahme kann das Problem absurderweise aber verstärken. „Schmerzmittel-Übergebrauch“ ist häufig und gut behandelbar – doch selbst viele Ärzte haben ihn offenbar nicht auf dem Schirm.
Frau mit Kopfschmerzen nimmt Tabletten ein.

Bei chronischen Kopfschmerz- oder Migränepatienten kann der Übergebrauch von Medikamenten die Schmerzen verstärken und dadurch selbst zur Krankheit werden. – Foto: AdobeStock/megaflopp

Schmerzen sind normalerweise ein Alarmsignal des Körpers, dass irgendetwas nicht stimmt. Manche Schmerzen aber sind da, obwohl organisch alles in Ordnung ist. Weil sie dann selbst das Problem sind, spricht man von „primären“ Kopfschmerzen – im Gegensatz zu den „sekundären“, die lediglich Folge oder Ausdruck einer anderen Primär-Erkrankung darstellen. Bekannte Beispiele für solche „primäre“ Kopfschmerzen sind beispielsweise Migräne oder Spannungskopfschmerzen.

Ungewöhnliches Krankheitsbild: „Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz“ (MOH)

Bei Menschen, die wegen wiederkehrender primärer Kopfschmerzen häufig Schmerzmittel einnehmen, kann sich in der Folge ein sogenannter Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz (MOH) entwickeln. „Obwohl die die Erkrankung sowohl behandelbar als auch zu verhindern ist, ist die Prävalenz (= Krankheitshäufigkeit) des MOH weltweit hoch“, heißt es in einem Statement der beobachtet die Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Viele Betroffene und selbst viele der behandelnden Ärzte hätten dieses Krankheitsbild schlicht nicht auf dem Schirm.

Beim MOH (von englisch: medication overuse headache) handelt es sich um eine eigenständige Kopfschmerz-Erkrankung, deren pathophysiologischen Mechanismen nicht vollständig geklärt sind. In der Wissenschaft diskutiert werden: eine gestörte Schmerzmodulation, zentrale Sensibilisierung, psychologische und Verhaltens- ebenso wie genetische Faktoren.

Wie lässt sich ein Arzneimittel-Kopfschmerz feststellen?

„Für die Diagnose eines MOH muss zunächst der Zusammenhang zwischen der zu häufigen Einnahme von akuter Kopfschmerzmedikation und Chronifizierung der Kopfschmerzen aufgeklärt werden“, heißt es bei der Fachgesellschaft DGN. Dies geschehe anhand von Anamnese (Betroffenen wird empfohlen, einen Kopfschmerzkalender zu führen) und neurologischer Untersuchung.

Ab wann spricht man von einem MOH mit Krankheitswert? Wenn bei Betroffenen mit vorbestehendem primären Kopfschmerz an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auftreten, die mit Schmerz- oder Migräne-Medikamenten behandelt werden – und dies über mehr als drei Monate lang, so die DGN.

Arzneimittel-Kopfschmerz: Bei Triptanen besonders häufig

Die Entstehung eines Übergebrauchs-Kopfschmerz hängt unter anderem von der eingenommenen Schmerzmittelgattung ab. Wer Triptane einnimmt (das modernste Medikament gegen Migräne), kann häufiger beziehungsweise schneller diese Kopfschmerzen bekommen, als jemand der etwa Ibuprofen erhält. Ibuprofen ist ein „nichtsteroidales Antirheumatikum“ (NSAR), das gegen Schmerzen und auch gegen Rheuma eingesetzt wird. Als „besonders problematisch“ stuft die Deutsche Gesellschaft für Neurologie opiathaltige Schmerzmittel ein – wegen des zusätzlichen Abhängigkeitspotenzials.

Weitere Risikofaktoren für den Übergebrauchs-Kopfschmerz

Weitere Risikofaktoren für einen Arzneimittel-Übergebrauchs-Kopfschmerz sind laut DGN:

  • weibliches Geschlecht
  • niedriger Bildungs- oder sozialer Status
  • zusätzliche psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Angsterkrankungen
  • abhängiges Verhalten (zum Beispiel)
  • Einnahme von Medikamenten gegen Schlafstörungen oder Beruhigungsmitteln.

Die DGN ermuntert Schmerzpatienten ausdrücklich, bei einem Verdacht auf Übergebrauchs-Kopfschmerz ihren Arzt offen anzusprechen. „Wichtig ist, dass nicht den Patientinnen und Patienten die ‚Schuld‘ an der Situation gegeben wird“, sagt Hans-Christoph Diener, federführender Autor der DGN-Leitlinie zu diesem Krankheitsbild. Meist liege das Problem in einem unzureichenden Kopfschmerz- oder Migräne-Management und nicht an einem Medikamenten-Missbrauch. Ein MOH trete in erster Linie bei ungenügender Prophylaxe von primären Kopfschmerzerkrankungen auf.

Wie wird der Übergebrauchs-Kopfschmerz behandelt?

„Wenn ein MOH diagnostiziert wurde, so kann eine angemessene Behandlung entsprechend den aktuellen Leitlinien in der Regel effektiv die Kopfschmerz- beziehungsweise Krankheitslast und den Schmerzmittelverbrauch reduzieren“, heißt es bei der DGN. Die Erfolgsrate betrage nach 6 bis 12 Monaten etwa 50 bis 70 Prozent, sagt Diener, der als einer der führenden Neurologen Deutschland gilt.

Die Behandlung des MOH besteht in der Reduktion der Einnahmehäufigkeit der übergebrauchten akuten Schmerzmittel beziehungsweise dem kompletten Absetzen. Gleichzeitig wird mit einer geeigneten Kopfschmerz-Prävention begonnen (beispielsweise mit Topiramat, Amitriptylin, Botulinumtoxin) oder einer Antikörpertherapie gegen das migräneauslösende Neuropeptid. Je nach Situation kann dies ambulant, in einer Tagesklinik oder im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführt werden.

Hauptkategorie: Medizin
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Arzneimittel , Schmerzen , Kopfschmerzen , Migräne

Weitere Nachrichten zum Thema „Kopfschmerzen“

01.08.2022, aktualisiert: 04.01.2023

Viele Deutsche haben ihr „Lieblingsschmerzmittel“. Doch nicht jedes Präparat hilft gleich gut gegen jeden Schmerz. Und: Schmerzmittel haben Nebenwirkungen. Deshalb sollten sie so kurz wie möglich angewandt werden – und in der geringsten wirksamen Dosis.

23.10.2022

Schmerzen sind normalerweise ein Alarmsignal für Verletzungen oder Erkrankungen. Die meisten Kopfschmerzen jedoch sind Schmerzen ohne organische Ursache. Trotzdem können sie Krankheitswert besitzen. Was sind die Auslöser?

04.12.2021

Sie gehört zu den heftigsten Schmerzerfahrungen, die Menschen machen können. Schauplatz der Attacken ist das besonders stark mit Nerven versorgte und deshalb besonders empfindliche Gesicht. Frauen trifft es häufiger als Männer, meist beginnt die Schmerzkrankheit ab einem Alter von 40: die Trigeminusneuralgie.

Aktuelle Nachrichten

Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin