Wenn die Seele verletzt ist – aber der Körper verrücktspielt

Körper und Seele hängen eng miteinander zusammen. Treten merkwürdige körperliche Symptome auf, ohne dass organische Ursachen gefunden werden können, kann das Krankheitsbild einer „dissoziativen Störung" vorliegen. – Foto: AdobeStock/Nejron Photo
Unverarbeitete Traumen aus der Kindheit können bei Erwachsenen zu körperlichen Symptomen führen, die von Medizinern leicht fehlgedeutet werden können. Beispiel eins: regelmäßig auftretende Zuckungen mit oder ohne Bewusstseinsverlust? „Epilepsie“ kann dann schnell die Diagnose lauten. Beispiel zwei: wiederkehrende Taubheit in den Gliedmaßen. Dann kann das schnell eine „Multiple Sklerose" sein.
Spezialsprechstunde bei „dissoziativen Störungen“
„Manchmal sind die naheliegenden Diagnosen nicht die richtigen – denn auch psychische Störungen können körperliche Beschwerden und die beschriebenen Symptome hervorrufen“, heißt es in einer Mitteilung des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Als nach eigenen Angaben erstes Uniklinikum deutschlandland bietet das UKB für Patienten mit „dissoziativer Störungen“ oder funktionellen Anfällen eine Spezialsprechstunde sowie ein konkretes Behandlungskonzept („Behandlungspfad“), das es in Deutschland bisher so nicht gibt.
Ursachen: Traumatische Erlebnisse oder Belastungen
Diese Form von psychosomatischen Reaktionen kann als Reaktion auf ein einmaliges, bedrohliches Ereignis oder wiederkehrende überwältigende Belastungen häufig im frühen Lebensalter entstehen. „Unverarbeitet können diese Erlebnisse dazu führen, dass unser Körper Schutzmechanismen, die zum Zeitpunkt des Geschehens hilfreich waren, um beispielsweise Schmerzen zu ertragen, unwillentlich in nun ungefährlichen Situationen wieder anwendet“, erläutert Alexandra Philipsen, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKB.
Merkwürdige körperliche Phänomene – ohne klare organische Ursache
In der Folge kommt es bei funktionellen Bewegungsstörungen oder psychogenen Anfällen beispielsweis zu Ohnmachts- oder Krampfanfällen sowie zu Lähmungen. „Diese Ereignisse haben keine organische Ursache im eigentlichen Sinne – sie sind nur das Ergebnis davon, dass der Körper diese Reaktion als hilfreich bei der Bewältigung einer extremen Stresssituation abgespeichert hat“, sagt Philipsen.
Häufige Fehldiagnose: „Epilepsie“
Diese Reaktionsmechanik beeinträchtigt das Leben der Menschen nicht nur in großem Stil, sie führt auch häufig zunächst zu falschen Diagnosen: „Wir schätzen, dass allein in Deutschland 30.000 Menschen fälschlicherweise mit Antiepileptika behandelt werden“, stellt Rainer Surges, Direktor der Klinik und Poliklinik für Epileptologie am UKB, fest. „Denn die so genannten psychogenen Anfälle weisen oft Phänomene und Anzeichen auf, die epileptischen Anfällen stark ähneln."
Teilweise würden Patientinnen und Patienten bis zu acht Jahre lang auf Epilepsie hin behandelt – bevor der dauerhaft ausbleibende Therapieerfolg zu einer tiefergehenden Diagnostik und veränderten Diagnose führe, sagt Facharzt Surges weiter. Dies führe nicht nur zu unnötigen Medikamenteneinnahmen und verlängertem Behandlungsstress, sondern beeinträchtige den Lebensweg der Betroffenen mit Blick auf die Berufswahl und das soziale Leben immens.
Spezialsprechstunde mit interdisziplinärer Behandlung
Um dieses diffizile Krankheitsbild besser zu erkennen und zu behandeln als bisher, hat das Universitätsklinikum Bonn als erstes Uniklinikum bundesweit sowohl eine gemeinsame Sprechstunde gegründet als auch einen modellhaften, interdisziplinären Patientenpfad aufgesetzt. Gemeinsam getragen wird das Angebot von den Kliniken für Epileptologie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin.
An diese Patienten ist das Angebot gerichtet:
Das neue Angebot richtet sich an Menschen, die trotz längerer ärztlicher Behandlung auch durch Medikamente beispielsweise an folgenden Symptome leiden:
- wiederkehrenden Zuckungen von Körperteilen
- Bewusstseinsstörungen
- Erinnerungslücken
- Ohnmachtsanfälle
- Krampfanfälle.
Die Betroffenen können sich, nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin mit einer Überweisung an folgende Adresse zu einem ersten Gespräch wenden: ZFDS[at]ukbonn.de.