
Fleischverzicht ist ein Prozess. Er beginnt im Supermarkt
Bilder aus dem Fernsehen sprechen eine eindeutige Sprache. Ob es Berichte über die katastrophalen Zustände in der Massentierhaltung sind oder in Schlachtbetrieben wie Tönnies: Immer mehr Menschen wird klar, dass man Fleisch eigentlich nicht mehr essen sollte. Und doch brutzeln weiterhin Nackensteaks und Bratwürstchen auf dem Grill im Garten. Zu Kampfpreisen bei Aldi oder Lidl erworben.
Warum fällt es eigentlich vielen Menschen so schwer, auf Fleisch zu verzichten, wo der Verstand doch eigentlich dagegen ist?
Gewohnheiten lähmen uns
Fleischkonsum werde in erster Linie von Gewohnheiten bestimmt, und diese Gewohnheiten seien in einen individuellen, sozialen und kulturellen Kontext eingebettet, sagt Sozialpsychologin PD Dr. Simone Dohle von der Universität zu Köln. „Für die meisten Menschen ist Fleischkonsum emotional positiv verknüpft – man denkt an das Zusammensein mit Familien und Freunden, an besondere festliche Momente, ans Grillen im Sommer. Daher finden es viele abschreckend, ganz auf Fleisch zu verzichten“, so Dohle.
Dabei könne ein achtsamer Umgang mit Fleisch auch bedeuten, dass man versucht, den Konsum zu reduzieren, meint Dohle. „Fleischverzicht ist damit keine Alles-oder-Nichts Entscheidung, sondern ein Prozess.“
Vom Luxusgut zur Billigware
Früher war Fleisch ein Luxusprodukt. Bis in die 1970er Jahre kamen große Fleischportionen nur am Sonntag auf den Teller kamen und waren damit etwas Besonderes. Seit dieser Zeit ist der Fleischkonsum immer weiter gestiegen, vor allem wegen sinkender Preise.
Sozialpsychologin Dohle nennt noch einen weiteren Grund: Fleisch werde als Proteinquelle überschätzt. „In Zeiten von „low carb“ und „high protein“-Produkten kann schnell der Eindruck entstehen, man müsse besonders auf die Proteinzufuhr achten. Die meisten Menschen überschätzen aber Ihren Proteinbedarf, und in den westlichen Industrienationen liegt die durchschnittliche Proteinzufuhr deutlich über den Verzehrsempfehlungen – oft ist sie doppelt so hoch“, sagt Dohle.
Die Gesundheit dankt
Dabei ist es auch aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll, den Fleischkonsum zu reduzieren. Zahlreiche epidemiologischenStudien zeigen, dass der Verzehr von Fleisch, insbesondere von rotem Fleisch das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten erhöht. Die WHO stuft Wurst und Fleisch seit einigen Jahren sogar als krebserregend ein.
Tatsächlich nehmen sich viele Menschen vor, weniger Fleisch zu essen Doch meist bleibt es nur bei den guten Vorsätzen nach dem Motto. Der Wille ist da, das Fleisch ist schwach.
So gelingen gute Vorsätze
Hierzu sagt Dohle: Wie bei vielen anderen guten Vorsätzen auch, wird oft zu wenig geplant, wie die Verhaltensänderung konkret aussehen soll. Liegt dann das Steak einmal auf dem Teller, ist es meistens zu spät, die guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Aus der Selbstkontrollforschung weiß man, dass eine effektive Selbstkontrolle vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass man vorausschauend agiert. Das heißt, Fleischverzicht beginnt bereits beim Einkaufen und der Planung von Mahlzeiten. Darüber hinaus kann es helfen, dass man sich spezifische Ziele setzt, etwa „nicht mehr als 2 Portionen Fleisch pro Woche“,
Dann sollte man dokumentieren, wie häufig man tatsächlich Fleisch konsumiert – dann erkennt man auch, wann man das Ziel nicht erreicht und in welchen Situationen es besonders schwierig ist, dieses Ziel zu erreichen, rät die Sozialpsychologin.
Hat man diese Situationen erkannt, hilft es häufig, sich einen „Wenn-Dann-Plan“ zu überlegen. Dieser ist durch eine besondere Struktur gekennzeichnet: „Wenn X eintritt, dann tue ich Y“. Ein Wenn-Dann-Plan zum Fleischkonsum könnte also z.B. folgendermaßen lauten: „Wenn wir das nächste Mal bei uns zu Hause grillen, werde ich statt eines normalen Steaks ein vegetarisches Steak für mich grillen.“ Wichtig ist jedoch, dass alle Ziele und Pläne auf individuelle Präferenzen und auf die Umstände abgestimmt sind.
Verzicht auf Fleisch bedeutet meistens auch, dass man sich mit alternativen Rezepten und Zubereitungsmöglichkeiten auseinandersetzt. Doch nicht jeder mag den Geschmack von Tofu oder Vegischnitzeln. Forschung zeigt jedoch auch, dass eine aktive Involvierung bei der Essenzubereitung dazu führt, dass Lebensmittel mehr gemocht werden. Daher lohnt es sich, öfters mal „über den Tellerrand“ zu schauen, und selbst auszuprobieren, welche alternativen Proteinquellen den eigenen Speiseplan bereichern könnten.
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