Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
 

Warum vielen der Fleischverzicht so schwer fällt

Dienstag, 21. Juli 2020 – Autor:
Ekelerregende Zustände in der Massentierhaltung, Tönnies-Skandal: Immer mehr Menschen hinterfragen ihren Fleischkonsum. Doch billiges Fleisch wird weiter gegessen. Eine Sozialpsychologin erklärt, warum vielen der Fleischverzicht so schwer fällt.
Fleischverzicht ist ein Prozess. Er beginnt mit dem Einkaufsverhalten

Fleischverzicht ist ein Prozess. Er beginnt im Supermarkt

Bilder aus dem Fernsehen sprechen eine eindeutige Sprache. Ob es Berichte über die katastrophalen Zustände in der Massentierhaltung sind oder in Schlachtbetrieben wie Tönnies: Immer mehr Menschen wird klar, dass man Fleisch eigentlich nicht mehr essen sollte. Und doch brutzeln weiterhin Nackensteaks und Bratwürstchen auf dem Grill im Garten. Zu Kampfpreisen bei Aldi oder Lidl erworben.

Warum fällt es eigentlich vielen Menschen so schwer, auf Fleisch zu verzichten, wo der Verstand doch eigentlich dagegen ist?

Gewohnheiten lähmen uns

Fleischkonsum werde in erster Linie von Gewohnheiten bestimmt, und diese Gewohnheiten seien in einen individuellen, sozialen und kulturellen Kontext eingebettet, sagt Sozialpsychologin PD Dr. Simone Dohle von der Universität zu Köln. „Für die meisten Menschen ist Fleischkonsum emotional positiv verknüpft – man denkt an das Zusammensein mit Familien und Freunden, an besondere festliche Momente, ans Grillen im Sommer. Daher finden es viele abschreckend, ganz auf Fleisch zu verzichten“, so Dohle.

Dabei könne ein achtsamer Umgang mit Fleisch auch bedeuten, dass man versucht, den Konsum zu reduzieren, meint Dohle. „Fleischverzicht ist damit keine Alles-oder-Nichts Entscheidung, sondern ein Prozess.“

 

Vom Luxusgut zur Billigware

Früher war Fleisch ein Luxusprodukt. Bis in die 1970er Jahre kamen große Fleischportionen nur am Sonntag auf den Teller kamen und waren damit etwas Besonderes. Seit dieser Zeit ist der Fleischkonsum immer weiter gestiegen, vor allem wegen sinkender Preise.

Sozialpsychologin Dohle nennt noch einen weiteren Grund: Fleisch werde als Proteinquelle überschätzt. „In Zeiten von „low carb“ und „high protein“-Produkten kann schnell der Eindruck entstehen, man müsse besonders auf die Proteinzufuhr achten. Die meisten Menschen überschätzen aber Ihren Proteinbedarf, und in den westlichen Industrienationen liegt die durchschnittliche Proteinzufuhr deutlich über den Verzehrsempfehlungen – oft ist sie doppelt so hoch“, sagt Dohle.

Die Gesundheit dankt

Dabei ist es auch aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll, den Fleischkonsum zu reduzieren. Zahlreiche epidemiologischenStudien zeigen, dass der Verzehr von Fleisch, insbesondere von rotem Fleisch das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebsarten erhöht. Die WHO stuft Wurst und Fleisch seit einigen Jahren sogar als krebserregend ein.

Tatsächlich nehmen sich viele Menschen vor, weniger Fleisch zu essen Doch meist bleibt es nur bei den guten Vorsätzen nach dem Motto. Der Wille ist da, das Fleisch ist schwach.

So gelingen gute Vorsätze

Hierzu sagt Dohle: Wie bei vielen anderen guten Vorsätzen auch, wird oft zu wenig geplant, wie die Verhaltensänderung konkret aussehen soll. Liegt dann das Steak einmal auf dem Teller, ist es meistens zu spät, die guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Aus der Selbstkontrollforschung weiß man, dass eine effektive Selbstkontrolle vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass man vorausschauend agiert. Das heißt, Fleischverzicht beginnt bereits beim Einkaufen und der Planung von Mahlzeiten. Darüber hinaus kann es helfen, dass man sich spezifische Ziele setzt, etwa „nicht mehr als 2 Portionen Fleisch pro Woche“,

Dann sollte man dokumentieren, wie häufig man tatsächlich Fleisch konsumiert – dann erkennt man auch, wann man das Ziel nicht erreicht und in welchen Situationen es besonders schwierig ist, dieses Ziel zu erreichen, rät die Sozialpsychologin.

Hat man diese Situationen erkannt, hilft es häufig, sich einen „Wenn-Dann-Plan“ zu überlegen. Dieser ist durch eine besondere Struktur gekennzeichnet: „Wenn X eintritt, dann tue ich Y“. Ein Wenn-Dann-Plan zum Fleischkonsum könnte also z.B. folgendermaßen lauten: „Wenn wir das nächste Mal bei uns zu Hause grillen, werde ich statt eines normalen Steaks ein vegetarisches Steak für mich grillen.“ Wichtig ist jedoch, dass alle Ziele und Pläne auf individuelle Präferenzen und auf die Umstände abgestimmt sind.

Verzicht auf Fleisch bedeutet meistens auch, dass man sich mit alternativen Rezepten und Zubereitungsmöglichkeiten auseinandersetzt. Doch nicht jeder mag den Geschmack von Tofu oder Vegischnitzeln. Forschung zeigt jedoch auch, dass eine aktive Involvierung bei der Essenzubereitung dazu führt, dass Lebensmittel mehr gemocht werden. Daher lohnt es sich, öfters mal „über den Tellerrand“ zu schauen, und selbst auszuprobieren, welche alternativen Proteinquellen den eigenen Speiseplan bereichern könnten.

Foto: © Adobe Stock / Robert Kneschke

Hauptkategorie: Umwelt und Ernährung
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Ernährung
 

Weitere Nachrichten zum Thema

16.04.2017

Vegetarier oder Veganer gelten oft als ideologisch verbohrt. Wer gerne Fleisch ist, tut dies ebenfalls aus Überzeugung. Das fanden Psychologen heraus.

Immer mehr Studien zeigen, dass Fleisch und Fisch gar nicht so gesund sind, wie man früher dachte. Jetzt haben Ernährungswissenschaftler einen neuen Zusammenhang entdeckt: Der Verzicht auf Fleisch könnte demnach das Diabetes-Risiko senken. Im Mittelpunkt steht eine bestimmte Aminosäure.

 

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
 
Weitere Nachrichten
Die elektronische Patientenakte (ePA) soll bis Ende 2024 kommen - für alle. Die Daten werden pseudonymisiert ausgewertet. Das ist Teil eines von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellten Gesetzes. Die Ärzteschaft fordert Konkretisierungen im Detail.

Die Zahl der Krankenhaus-Fälle ist 2022 im Vergleich zu 2019 um 15 Prozent gesunken - noch stärker als 2020 (minus 13 Prozent) und 2021 (minus 14 Prozent). Das zeigt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Der Berliner Corona-Lagebericht informiert weiterhin über die aktuelle Infektionslage in der Stadt und ihren Bezirken. Doch weil sich die Lage geändert hat, hat der Berliner Senat den Bericht nun überarbeitet und den aktuellen Entwicklungen angepasst.
 
Interviews
Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.

Aducanumab ist das erste in den USA zugelassene Medikament, das die Alzheimer typischen Amyloid-Plaques zum Verschwinden bringt. Aber kann der neue monoklonale Antikörper mit dem Handelsnamen Aduhelm auch den Gedächtnisverlust stoppen? Und warum ist die Notfallzulassung in den USA durch die US-Food and Drug Administration (FDA) so umstritten? Darüber hat Gesundheitsstadt Berlin mit dem Neurologen und Alzheimer-Experten Prof. Johannes Levin vom LMU Klinikum München gesprochen.
Logo Gesundheitsstadt Berlin