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Warum vertragen viele Weizenmehl nicht?

Freitag, 27. November 2020 – Autor:
Immer öfter klagen Verbraucher nach dem Verzehr von Produkten aus Weizenmehl über gesundheitliche Probleme. Kurios dabei ist: Manche vertragen die Brötchen vom einen Bäcker nicht, die vom anderen schon. Viele haben Probleme mit Weizen, aber nicht mit Dinkel – dabei sind beide Getreide eng verwandt. Ein Forschungsprojekt der Uni Hohenheim liefert neue Erkenntnisse darüber, warum.

– Foto: ©X. BEGUET- Panorama - stock.adobe.com

Weizen – das ist doch ein „Lebensmittel“! Trotzdem: Produkte aus diesem in der westlichen Welt nicht wegzudenkenden Grundnahrungsmittel bereiten immer mehr Menschen gesundheitliche Beschwerden. Die Bandbreite an Symptomen ist groß: Sie reicht von Kopf- und Bauchschmerzen über Durchfall und Erbrechen bis hin zu Neurodermitis und Depressionen. Eine Forschungsgruppe der Universität Hohenheim, Stuttgart, versucht nun in einem größeren angelegten Projekt, möglichen Ursachen auf die Spur zu kommen. Nach ersten Erkenntnissen könnten im Getreide enthaltene Proteine eine Rolle spielen – und unter anderem auch die Anbaugegend.

Zöliakie und Weizenallergie: Weizen komplett meiden

„Eine Rolle könnten möglicherweise manche im Mehl beziehungsweise im Brot enthaltenen Proteine spielen“, erklärt Prof. Dr. Stephan Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim. „Einige wenige Menschen leiden unter Zöliakie oder allergischen Reaktionen nach dem Verzehr von Weizen. Sie müssen Weizen tatsächlich komplett meiden. Und beide Krankheitsbilder werden durch verschiedene Proteine ausgelöst. Der Auslöser der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NCWS) dagegen ist noch nicht geklärt, doch man hat auch hier Proteine in Verdacht.“

Manche vertragen Weizengebäck nur von bestimmten Bäckern

Überraschend ist es, dass bei vielen Patienten, die mit Weizen ein Problem haben, keine Beschwerden auftreten, wenn sie Backwaren oder andere Produkte mit Dinkelmehl verzehren. Andere Verbraucher wiederum vertragen nach eigenen Aussagen nur manche Weizenprodukte von speziellen Bäckern. Obwohl in mehreren Studien zahlreiche Inhaltsstoffe von Dinkel mit denen des Brotweizens verglichen wurden, fehlt immer noch eine klare wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen. Dabei sind Brotweizen (Triticum aestivum ssp. aestivum) und Dinkel (Triticum aestivum ssp. spelta) eng miteinander verwandt. Diese Forschungslücke wollen die Wissenschaftler aus Hohenheim schließen helfen.

Gehalt an allergenen Proteinen kann um den Faktor 20 schwanken

Bei Dinkel und Weizen, die botanisch zur selben Art gehören, gibt es jeweils Dutzende verschiedener Sorten, die sich erheblich in ihren Eigenschaften unterscheiden. „Weizen und Dinkel unterscheiden sich deutlich in der Eiweißzusammensetzung im Mehl“, so das Ergebnis einer Untersuchung von drei Arbeitsgruppen an der Universität Hohenheim. Auch zwischen den einzelnen Sorten innerhalb dieser Arten gibt es große Unterschiede: Der Gehalt potenziell allergener Proteine kann sogar um Faktor 20 schwanken. Der Anbauort spielt ebenfalls eine große Rolle. Diese Erkenntnisse ließen sich nach Einschätzung der Stuttgarter Wissenschaftler nutzen: So könnten Proteine, die vor allem von der Sorte abhängen, auch zielgerichtet beeinflusst werden – für bessere Backqualität, aber auch bessere Verträglichkeit.

Weizen und Dinkel: jeweils um die 3.000 Sorten Proteine

Für ihre Untersuchungen haben die Forscher je 15 Sorten von Weizen und Dinkel, die aktuell für die Produktion von Dinkel und Brotweizen in Deutschland repräsentativ sind, an jeweils drei Standorten in Deutschland und in Frankreich angebaut und das daraus hergestellte Mehl analysiert. Insgesamt konnten die Forscher so 3.050 Proteine in Dinkel beziehungsweise 2.770 in Brotweizen nachweisen. Erstaunlich fanden die Stuttgarter Wissenschaftler, dass sich rund ein Drittel aller Proteine bei Weizen und Dinkel in ihrer Expression signifikant unterschieden.

Anbaustandort mitentscheidend bei Proteinbildung

Auch Standort und Sorte sind für die Proteinbildung entscheidend. „Am meisten hat uns der große Umwelteinfluss überrascht“, sagt Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt an der Uni Hohenheim. „Für rund die Hälfte aller gebildeten Proteine ist der Anbauort prägend. Das bedeutet aber auch, dass man diese Proteine nicht zielgerichtet beeinflussen kann.“

Zudem unterscheiden sich die untersuchten Sorten innerhalb der Unterarten Dinkel und Weizen auch stark in ihrem Proteinmuster: So waren zwei Drittel der Proteine, deren Bildung von der Umwelt unabhängig war, nur in einigen, aber nicht in allen Sorten vorhanden und kamen darüber hinaus in unterschiedlichen Mengen vor. Fazit von Weizen-Experte Longin: „Diese Proteine wiederum sind sehr interessant, da sie über die Auswahl der Sorte beeinflusst werden können.“

Proteine: Auslöser von Weizenallergie oder Bäckerasthma

Darauf aufbauend haben die Forscher für die getesteten Sorten einen „Allergenindex“ berechnet. Hierzu wurden 22 Proteine ausgesucht, die als mögliche Auslöser von Weizenallergie, Bäckerasthma und Weizensensitivität diskutiert werden. Sowohl beim Dinkel als auch beim Weizen konnten die Forscher eine sehr große Schwankungsbreite zwischen den Sorten beobachten: Der Gehalt an potenziell allergenen Proteinen kann sich bei den verschiedenen Sorten um das 20-Fache unterscheiden.

Weizenauswahl beim Bäcker: Backqualität zählt – nicht Verträglichkeit

„Bei der Auswahl des Mehls liegt der Fokus heute vor allem auf der Backqualität“, sagt Getreideforscher Longin. „Größtenteils wissen die Bäcker gar nicht, welche Sorte sie gerade verwenden. Dabei gäbe es die Möglichkeit, die Proteinzusammensetzung und somit Qualität und Verträglichkeit von Weizenprodukten durch die Auswahl geeigneter Sorten zu beeinflussen.

Studienteilnehmer mit Weizenunverträglichkeit gesucht

Als nächstes Teilprojekt innerhalb ihrer größer angelegten Studie wollen die Stuttgarter Wissenschaftler untersuchen, welche Veränderungen sich im Getreide während der Brotherstellung ergeben. So zeigte eine andere Studie aus Hohenheim von 2019, dass die Backtechnik ein entscheidender Faktor dafür sein kann, ob Konsumenten nach einem Verzehr unter Reizdarm leiden oder nicht: Lässt man dem Teig mehr Zeit zum Gehen, werden bestimmte Zucker abgebaut, die Verdauungsprobleme bereiten können. Im dritten Teil der aktuellen Studienprojekts wollen sich die Forscher Menschen mit Unverträglichkeiten näher ansehen. Für diese Humanstudie sucht die Universität Hohenheim noch Probanden, die beim Verzehr von Weizen Krankheitssymptome verspüren – bei dem von Dinkel aber nicht.

Foto: AdobeStock/X. BEGUET- Panorama

Hauptkategorie: Umwelt und Ernährung
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